Professionswissen und eigene Theologie.
Eine systematisch-theologische Reflexion des (unbegleiteten) studentischen Unterrichtens
Maren Bienert / Martin Hailer
Zusammenfassung
Vertretungsweise Erteilung von Religionsunterricht durch Studierende ist eine bundesweit verbreitete Praxis, vor allem bedingt durch den wohlbekannten Lehrkräftemangel. Ganz überwiegend findet dieser Unterricht unbegleitet statt. Der Aufsatz umreißt den diesbezüglichen Kenntnisstand und diskutiert die damit verbundenen Probleme aus systematisch-theologischer Sicht. Er skizziert das Professionsideal „Theologische Positionalität“, entfaltet es als Konzeption „je eigene Theologie“ und diskutiert, welche Möglichkeiten zur Begleitung studentischen Unterrichtens hilfreich sein könnten, um die Entwicklung der „je eigenen Theologie“ zu fördern.
Schlagwörter: Religionsunterricht durch Studierende, Koblenzer Konsent, systematisch- theologische Urteile, Barth, Karl, Troeltsch, Ernst
Professional Knowledge and „One’s Own Theology“. A Systematic Theological Commentary on (Unaccompanied) Student School Teaching
Abstract
Teaching of religion classes in schools by students is a widespread practice throughout Germany, mainly due to the well-known shortage of school teachers. Most of these students are not supervised professionally. The present paper outlines the current state of knowledge in this regard and discusses the associated problems from the point of view of systematic theology. It outlines the professional ideal of „theological positionality”, develops it as a concept of „oneʼs own theology” and then asks, which possibilities for accompanying studentsʼ school teaching in religion could be helpful in order to promote the development of „oneʼs own theology”.
Keywords: Religion classes by students, Koblenz consent, opinion forming in theology, Karl Barth, Ernst Troeltsch
Der bundesweite Lehrkräftemangel stellt Schulen und Bildungspolitik vor Herausforderungen, deren Folgen auch an den Hochschulen und Universitäten spürbar werden. Denn: Als eine Umgangsform hat sich die Praxis etabliert, Studierende über ihre im Studium verankerten und begleiteten Praktika hinaus als Vertretungslehrkräfte oder Pädagogische Mitarbeitende an Schulen zu beschäftigen – was auch für das Studium bzw. die universitäre Realität selbst nicht folgenlos bleiben dürfte. Wie genau diese Folgen angemessen begriffen und bewertet werden sollten und wie ihnen am besten begegnet werden kann, beschäftigt derzeit wohl mehrere Akteure. Aussagekräftige Daten für das gesamte Bundesgebiet zum Phänomen Unterrichten/Beschäftigung an Schulen während des Studiums liegen bislang nicht vor, wohl aber eine erste Untersuchung für Niedersachsen (Winter, Reintjes & Nonte, 2023), die an sechs Standorten durchgeführt wurde. Die Studie ergibt, dass unter den Befragten (das sind Lehramtsstudierende insgesamt, für Theologiestudierende als eigene Gruppe liegen u.W. bislang keine Studien zum Unterrichten/der Beschäftigung an Schulen während des Studiums vor) gut ein Drittel an Schulen beschäftigt ist. Dieser Befund wird differenziert durch Angaben des Beschäftigungsumfangs, der konkreten Tätigkeiten und der Bedingungen sowie durch zwei Fragedimensionen, die für die Professionalisierungsprozesse sowie die Unterrichtsqualität gleichermaßen ernstgenommen werden müssen, nämlich, ob auch fachfremd unterrichtet wird und ob eine Betreuung stattfindet (vgl. ebd., S. 140). Daneben stehen in der Studie noch zwei weitere Forschungsfragen: Einerseits diejenige nach der eingeschätzten Wirkung der schulischen Tätigkeit auf die eigene Professionalisierung neben dem Studium sowie andererseits diejenige nach dem Effekt der Tätigkeit in der Schule auf den eigenen Berufswunsch im Vergleich zu Studierenden, die während des Studiums diese Tätigkeiten nicht versehen (vgl. ebd.).
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen (hier in aller Knappheit wiedergegeben): Der Berufswunsch wird durch das Unterrichten neben dem Studium zwar tendenziell gestärkt (ebd., S. 148), allerdings in einem ambivalenten Feld, was Professionalisierungsprozesse angeht: Neben einer bereits bekannten Neigung dazu, die Praxis als eigentlichem Ort von Professionalisierung zu verklären, die sich in der Studie dadurch verifiziert, dass die Befragten bei der Frage nach wechselseitigem Ertrag angaben, ihr Studium profitiere mehr von ihrer Tätigkeit an der Schule als umgekehrt (ebd.), steht der Befund, dass Studierende zu zwei Dritteln auch als „Feuerwehrkräfte“ fungieren, da sie oft auch fachfremd unterrichten (37% davon in drei oder mehr Fächern, ebd.., S. 146). Nur ein Drittel der Befragten gab an, mentoriert zu werden (nur 24% an Grundschulen, ebd.), was man freilich einigermaßen alarmierend finden wird, sich aber vermutlich eben dem Problem verdankt, das den doch umfangreichen Einsatz Studierender an Schulen überhaupt nötig macht: dem Lehrkräftemangel insgesamt. Soweit zu einigen Ergebnissen der niedersächsischen Studie.
Wenn über das hier verhandelte Problem des (unbegleiteten) Unterrichtens während des Studiums durchaus auch kritisch nachgedacht wird, sei eines vorweg gesagt: Es steht völlig außer Frage, dass mentorierte, reflektierte und theoriegeleitete Praxisphasen unerlässlicher Bestandteil eines Lehramtsstudiums sind. Diese dienen der Professionalisierung angehender Lehrkräfte, der Ratifizierung des Berufswunsches und der Auslotung allgemeiner wie individueller Bildungsbedarfe, die mit der Rolle einer (Religions-)Lehrkraft verknüpft sind. Der entscheidende Unterschied zwischen solchen wechselseitig an Universitäten/Hochschulen und Schulen verankerten und von diesen verantworteten Praxisphasen ist allerdings und gerade deshalb gegenüber weitgehend unbegleiteten und somit allein von Studierenden verantworteten Tätigkeiten an Schulen unbedingt festzuhalten. Angesichts des hohen Bedarfs an (gut ausgebildeten!) Lehrkräften an allen Schulformen sollten Studierende besonders sorgfältig gebildet, mentoriert und begleitet werden. Das gilt selbstverständlich auch für alle im Studium zu absolvierenden Praxisphasen an Schulen. Es mag naheliegen, Lehramtsstudierende an Schulen zu beschäftigen, wenn überhaupt auf die Beschäftigung von Aushilfslehrkräften ausgewichen werden muss. Dass gerade Lehramtsstudierende diese Angebote auch gerne wahrnehmen, ist als solches eher ein verständliches als ein problematisches Phänomen. Wer einem Lehrkräftemangel durch den Einsatz von Studierenden an Schulen begegnen möchte, gleichzeitig an einer hohen Professionalisierung von Lehrkräften sowie hoher Unterrichtsqualität interessiert ist, müsste aber dringend Konzeptionen umsetzen, die Studierende keinesfalls unmentoriert oder fachfremd an Schulen einsetzen.1 Das Bedenken, auf diese Weise einer Pseudo-Professionalisierung von angehenden Lehrkräften zuzuarbeiten (Überforderung in didaktischer, fachlicher und sozialer Hinsicht; Aneignung problematischer Routinen; Geringschätzung der Erträge des wissenschaftlichen Lehramtsstudiums) steht neben der Sorge vor einer so zunehmenden Abseitsstellung des Religionsunterrichts (mit rechtlichen, vokationsbezogenen und schulpolitischen Argumenten). Diese Argumente finden sich sämtlich in dem 2017 veröffentlichten Votum von GwR, KIET und E-TFT (GwR, 2017).
Soweit eine Einschätzung zu der Situation der Studierenden an den Schulen. Wie aber sieht es nun hinsichtlich dieser Entwicklungen an den Universitäten und Hochschulen aus, und sollte daraus etwas für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken folgen? Wenn ja, was wäre das?
Der vorliegende Beitrag stößt diese Frage aus der systematisch-theologischen Perspektive der Verfassenden an und tut dies, indem zunächst darüber nachgedacht wird, was (aus systematisch-theologischer Perspektive auf die erste Ausbildungsphase) für die Füllung des Begriffs Professionswissen einer Lehrkraft geleistet werden müsste (2.), dass und wie das Konzept einer „eigenen Theologie“ diese Frage flankiert (3.) und abschließend, wie angesichts dieser Überlegungen Chancen und Risiken eines (unbegleiteten) Unterrichtens während des Studiums (4.) zu fassen sind.
Der kürzlich veröffentlichte Koblenzer Konsent zur evangelischen und katholischen Religionsdidaktik (EKD, 2025), analog zum Beutelsbacher Konsens (Politikdidaktik, 1976) und dem Dresdener Konsens (Ethikdidaktik, 2016), hat die Theologische Positionalität im Kontext religiöser Bildung zu seinem Gegenstand. Es ist unbestritten, dass das Professionswissen einer Religionslehrkraft aus mehr als theologischer Positionalität besteht. Diese Komponente ist im Gefüge des Professionswissens aber keineswegs marginal und dürfte auch für die Frage nach Chancen und Risiken eines (unbegleiteten) Unterrichtens während des Studiums keine marginale Rolle spielen. Dies ist umso mehr der Fall, wenn man den Koblenzer Konsent als einen Text liest, der anhand seiner Thematik die prominente Unterscheidung von Religion und Theologie bildungssensibel und gegenwartsbedacht für das Professionswissen konkretisiert und damit eben jenen Überschritt thematisiert, der in theologischen Bildungsbiographien statthaben soll. In ihm werden Leitmotive theologischer, d.h. theologisch gebildeter, Positionalität konkretisiert, die als Transparenzgebot, als Kontroversitätsgebot, als Respektgebot und als Orientierungsgebot gefasst werden. Der im Koblenzer Konsent beschriebene Positionalitätsbedarf verortet sich innerhalb einer grundsätzlichen „Kontroversität des religiös-weltanschaulichen Pluralismus der modernen Gesellschaft“ und begreift religiöse Bildung normativ gerahmt als „dem Geist von Demokratie, Menschenwürde und Gleichberechtigung verpflichtet“, zudem „fordert [sie] vernünftige Reflexion“. Sie ist sich überdies „der bleibenden Fraglichkeit, Perspektivität und Subjektivität des eigenen religiösen und theologischen Standpunkts bewusst“ (EKD, 2025, S. 2). Diese anspruchsvollen und zugleich überzeugenden Marker bilden die Charakteristika einer theologischen Positionalität, „die begründet werden kann, nicht zufällig ist und längerfristig zur Verfügung steht“ (EKD, 2025, S. 1). Ihren Bewährungshorizont finden sie freilich in einer keinesfalls trivialen Situation, die Joachim Willems als „Doppelgesichtigkeit von Religionsunterricht“ beschreibt: „zugleich konfessionell und aus einer christlichen ‚Bekenntnisperspektive‘ und in heterogenen Lerngruppen, in vielen Fällen im Klassenverband“ (Willems, 2024, S. 372). Wenn man – in weiter konstrastierender Absicht – den Blick auf einige Befunde empirischer Unterrichtsforschung richtet, stellten diese „insbesondere in inhaltlicher Hinsicht ‚strukturelle Verlegenheiten‘ für das Verhältnis zur konfessorischen Dimension des Religionsunterrichts und zum Umgang mit ihr auf Seiten der Lehrkräfte fest. Zu den ‚Symptomen‘ dieser Verlegenheiten zählen“, so Susanne Schwarz anhand einer Studie von Englert et al., u.a. „Tendenzen zur ‚Versachkundlichung‘“ (Schwarz, 2024, S. 166). Ursachen für diese Schieflagen gibt es viele. In selbstreflexiver Absicht ist hier z.B. auf eine prägnante Einschätzung Johannes Kubiks hinzuweisen, der eine „Beziehungslosigkeit dogmatischen Wissens“ konstatiert und die „universitäre Lehre der Systematischen Theologie“ adressiert, sich diesem Problem zu stellen (Kubik, 2022, S. 12). Kubik illustriert hieran „zwei Fallen, die den RU in zwei gegensätzliche, aber beide Male ungünstige Richtungen bringen: entweder die Angst der RL, dass sie für ‚zu christlich‘, ‚zu religiös‘, ja gar zu fundamentalistisch gehalten wird; mit der Konsequenz einer Marginalisierung echt religiöser Themen zugunsten von ethischen, allgemein- lebensweltlichen. Oder die Angst der RL, dass man den (vermeintlichen) kirchlichen oder dogmatischen Ansprüchen nicht genüge, mit der Konsequenz eines vermeintlich dogmatisch ‚richtigen‘, in Wahrheit aber einfach ängstlichen, weder sachlich noch religiös ergiebigen Unterrichts.“ (ebd.)
Wenn das von Kubik und Schwarz zurecht Problematisierte vermieden und das vom Koblenzer Konsent zurecht Normierte auf dem Feld schulischer religiöser Bildung erreicht werden soll, wird dies nur gelingen, wenn die theologische Existenz von Theologiestudierenden und angehenden Lehrkräften entsprechende universitäre theologische Bildung erfährt. Ob das Unterrichten während des Studiums hierfür förderlich oder hinderlich ist, gilt es zu reflektieren, wenngleich bestimmte eindeutige Gefahren ganz klar benannt werden können, z.B. diejenige, dass sich im Priorisierungsgefüge die schulische Anstellung über das Studium schiebt. Dass im Unterrichten während des Studiums Chancen liegen können (z.B. gesteigertes Interesse an fachwissenschaftlichen Bildungsbeständen bei gleichzeitiger Anwendungssensibilität), ist jedoch ebenso in die Waagschale zu werfen wie das Risiko, dass die in der theologischen universitären Bildung angestrebte eigene theologische Positionalitätsfindung (samt -erprobung, -reflexion, -umjustierung) durch Überforderungen unterschiedlicher Art eher erschwert bis verunmöglicht wird.
„Von jedem evangelischen Theologen ist zu verlangen, daß er im Bilden einer eignen Überzeugung begriffen sei“. (Schleiermacher, 1910, S. 83 [§ 219]) Friedrich D.E. Schleiermachers Formulierung aus der „Kurzen Darstellung des theologischen Studiums“ weist auf eine entscheidende Näherbestimmung des Professionswissens von Lehrkräften hin, das soeben zu notieren war. Dafür kann man das Dictum in zwei Richtungen lesen: Es ist einerseits fordernd, weil die Bildung der eigenen theologischen Überzeugung Ziel und Zweck des Theologiestudiums ist. Eine unerlässliche Bedingung wird formuliert, anzuwenden auf das Theologiestudium in Gestalt des Pfarramts- wie des Lehramtsstudiums. Zugleich beinhaltet Schleiermachers Feststellung eine wichtige Näherbestimmung: Die Forderung beschreibt den Prozess, „im Bilden … begriffen“ zu sein, nicht etwa ein vollendetes, abgeschlossenes Urteil. Es ist wohl eher so, dass die fortgesetzte Arbeit am eigenen Urteil zur theologischen Professionsrolle gehört.
Die Behauptung, es ginge um die Bildung einer eigenen Überzeugung, setzt zugleich mit, auf diese Überzeugung hin ansprechbar zu sein. Hier könnte eine differentia specifica des Religionsunterrichts zu anderen Fächern liegen, die mindestens nicht in diesem Umfang persönlich reflektiertes Urteilsverhalten samt Fähigkeit und Bereitschaft, dies auch zu kommunizieren, verlangen. In Schulfächern mit vergleichsweise höherem hermeneutischen Anteil wie etwa Geschichte oder Politik ist das eigenverantwortete Urteil ebenfalls unhintergehbar, freilich aber in anderer Weise, in dem das für die Sache des Religionsunterrichts zu denken sein dürfte. Hier zeigt sich – auch unter voller Beachtung des Überwältigungsverbots und seiner Konkretionen im Koblenzer Konsent (s.o.) – dass und inwiefern der Religionsunterricht auf seine Weise und im Rhythmus seiner Sachlichkeit Anteil am Verkündigungsauftrag der Kirche hat.
Unter Absehung von „theologisch begründeter Selbstverortung“ (EKD, 2025, S. 1) ist das nicht zu haben.
Wie ist das unter den Bedingungen des lehramtlichen Studiums zu denken? Bernd Schröder hat dafür den Vorschlag unterbreitet, „die Arbeit am Entwurf einer je eigenen Theologie der angehenden Religionslehrenden“ in den Fokus des Lehramtsstudiums Theologie zu rücken. (Schröder, 2023, 151) Es geht um „die Skizze einer individuellen ,Logik der Theologie‘ (Dietrich Ritschl), die exegetisch, systematisch oder induktiv- religionspädagogisch grundiert sein kann und erkennen lässt, welchen Reim sich die Studierenden zum gegebenen Zeitpunkt auf die Theologie machen – in ihrer Lebenssituation als junge Erwachsene (bzw. als Baustein ihrer je eigenen religiösen Bildungsbiografie) und im Kontext ihrer Aufgabe, bildsam mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten.“ (ebd.)
Wie genau dies im Studium auszusehen hat, ist hier nicht im Detail zu diskutieren, wiewohl es aber bereits in direkter Reaktion auf Schröders Beitrag thematisiert wurde (Mantler, 2023, S. 652-653; Gäfgen-Track & Gärtner, 2023, S. 665). Auf welche Weise auch immer: Jedenfalls haben Lehrende und Studierende die Aufgabe, an der Haltung, dem habitus theologicus der letzteren – und damit, wenn auch weniger direkt, auch der ersteren – zu arbeiten. Dies ist religionspädagogisch verschiedentlich gesehen und bearbeitet worden (vgl. Heil & Riegger, 2017), muss aber für Belange des Studiums durchaus noch weiter ausgearbeitet werden. Aus systematisch-theologischer Sicht muss dafür zugeschärft werden, welche Elemente und Aspekte wohl zum habitustheologicus gehören. Ungewohnt, aber hilfreich zu fragen: Wenn es nicht um die Inhalte der dogmatischen Theologie im engeren Sinne geht, wohl aber um den Umgang mit ihnen und die zu ihnen gehörenden Aneignungsformen, worum geht es? Wohl nicht ganz zufällig erst in seiner Abschiedsvorlesung unterbreitete Karl Barth seine diesbezüglichen fundamentaltheologischen Vorschläge, nachdem er sich zuvor nicht gescheut hatte, viele dicke Bücher mit materialdogmatischem Fokus vorzulegen. Das Bändchen heißt „Einführung in die evangelische Theologie“, ist aber eigentlich eine Einführung in das Theologe-/Theologin-Sein. In der Tat werden Lebens- und Reflexionsaspekte erläutert, was man bei der Fundamentaltheologie-Abstinenz des Verfassers zumindest so nicht erwartet hätte. Für die Frage nach der theologischen Existenz kennt Barth die Stichworte: Verwunderung, Betroffenheit, Verpflichtung und Glaube. Ergänzt werden sie durch Aspekte ihrer Gefährdung, die Barth mit Einsamkeit, Zweifel, Anfechtung und Hoffnung bezeichnet (Barth, 1985, S. 71-118 bzw. S. 121-171). Allein schon, warum Hoffnung unter die spezifischen Gefährdungen der theologischen Existenz zählen soll bzw. wie sie mit ihnen umgeht, ist bereits eine Frage wert, muss aber wie die anderen Aspekte auch bei anderer Gelegenheit diskutiert werden. Die Stichwortreihe macht aber wohl deutlich: Wer von der eigenen Theologie, vom eigenen habitus theologicus spricht, wird wohl mithilfe dieser Stichworte eben auch von sich selbst zu sprechen haben.
Auf den Spätstil des Gründers der Dialektischen Theologie ist mitnichten festgelegt, wer nach Aspekten des habitus theologicus fragt, und wie sie wohl im Studium vorzukommen hätten. In merklich anderer Tradition lohnt sich dafür der Blick in Ernst Troeltschs nachgelassene Glaubenslehre, den Heidelberger Vorlesungen von 1911 und 1912. Nicht nur, dass Troeltsch unmissverständlich schreibt, „daß die persönliche Aneignung die eigentliche und letzte Ǫuelle“ im Sinne der Erkenntnisquelle der Theologie ist, und bereits insofern als Stichwortgeber einer je eigenen Theologie unüberspringbar ist (Troeltsch, 2023, S. 439). Troeltsch durchmustert vor dieser Schlussfolgerung, warum und wie in der dezidiert modernen Gegenwart die „fortwirkende göttliche Selbstbezeugung zu erkennen“ ist und sich niemand also in eine ideale Gegenwelt oder ins fundamentalistische Geviert flüchten muss, sich vielmehr besten Gewissens modernekompatible Interpretationen der Inhalte des Glaubens aneignen und fortentwickeln kann (Troeltsch, 2023, S. 435).
Die hier sehr rasch herangezogenen Ahnherren Barth und Troeltsch werden sich in vielem widersprechen, wenn es um ihre inhaltlichen Vorschläge geht, die je eigene Theologie mit Inhalt und Leben zu füllen. Deutlich sollte nur sein, dass sich nicht einer theologischen Richtung allein ausliefert, wer die Schröder’sche Betonung der Reflexion der im Entstehen begriffenen je eigenen Theologie aufnehmen möchte.
Weniger als das eben Skizzierte darf das lehramtliche Studium der Theologie nicht anzielen, wenn es sich selbst ernstnehmen will. Für die Frage nach der „je eigenen Theologie“ ist nun zu klären, welche Rolle studentischer Religionsunterricht, zumal in unbegleiteter Form dabei spielt oder spielen könnte. Aus langjähriger Erfahrung in der hochschulischen Lehre zeigen sich typologisch zwei Richtungen, freilich zwei exakt gegenläufige:
Zur Illustration gehen wir von einer inhaltlich schwierigen Situation aus, die die Studierenden in dem von ihnen gehaltenen Unterricht erleben. Die eine idealtypische studentische Reaktionsweise bringt diese Situation mit ins universitäre Seminar und entwickelt ein Sensorium dafür, dass die Befassung mit scheinbar abstrakten dogmatischen Themen kein Glasperlenspiel ist, sondern Aufklärung des eigenen theologischen Verstandes bzw. Arbeit an der eigenen intellektuell ausgewiesenen religiösen Existenz. Das ist nichts weniger als der Gelingensfall: Die improvisierte vorberufliche Berufssituation erweist sich als produktiv, weil sie den Bedarf an theologischem Professionswissen weckt bzw. stärkt. Wir müssen es künftigen empirischen Arbeiten in der Religionspädagogik überlassen, herauszufinden, ob diese Reaktionsweise vorzüglich die von intellektuell wachen und auch anderweitig leistungsstarken Studierenden ist, jedoch durchaus nicht von allen, und ob der Normalfall vielleicht die problematische inhaltliche Vermeidungshaltung ist. Die in Seminaren und anderweitigen Gesprächen gesammelte Erfahrung legt das durchaus nahe, muss aber vor zu eiligen Schlüssen überprüft werden.
Die idealtypische andere Reaktionsweise lässt sich als Immunisierungsstrategie bezeichnen: Eine wie auch immer entstandene inhaltliche Herausforderung im studentischen Religionsunterricht stößt auf Irritation oder Nichtwissen und löst diese Reaktion aus: „Ich habe etwas nicht gekonnt, nicht gewusst. Hat jemand bewährtes Material, damit mir eine solche Irritation nicht noch einmal unterläuft?“ – Auf diesem Wege freilich wird die je eigene Theologie nicht aufgerufen, geschweige denn bearbeitet. Ja, es wird durch die Nachahmungsstrategie habitualisiert, dass es einer eigenen Theologie gar nicht bedürfe, um „schulisch durchzukommen“, weil genügend vorgefertigte Antworten und Materialien schließlich bereitstünden. Wieder verbietet es sich, zu schnell auf Lager oder Cluster der Studierendenklientel zu schließen, aber auch hier könnte ja ein interessantes Feld für die empirische Religionspädagogik liegen: religionspädagogische Fehlerforschung in Sachen der je eigenen Theologie.
Vorbehaltlich weiterer Erkenntnisse auf diesem Feld heißt die Schlussfolgerung: Wenn Religionsunterricht durch Studierende schon stattfindet, ist die Ǫualifizierung angehender Lehrkräfte jedenfalls so zu gestalten, dass die eben skizzierte Immunisierungsstrategie nach Möglichkeit nicht zum Zuge kommt. Sie dürfte aus der Begleitung von Schulpraktika überdies wohlbekannt sein. Wie aber erreicht man es, dass aus einer inhaltlich herausfordernden Unterrichtssituation nicht im Sinne billiger Imitation nach der schnellen Lösung verlangt wird, sondern das Bedürfnis entsteht, nach der Gestaltung der je eigenen Theologie zu fragen? Anders als durch Habitualisierung wird das kaum zu erringen sein. Aus der Sicht hochschulischer Lehre bieten sich zwei Wege an. (1) Eine Ǫuerschnittaufgabe der Hochschullehre überhaupt: Wer in den verschiedenen Lehrformaten immer wieder anbietet, etwa bei Schülerfragen oder Bildungsplanthemen zu beginnen und von dort aus exegetische, historisch- oder systematisch-theologische Themen zu erschließen, übt in die Reflexionsform ein, die für jede Unterrichtsform ratsam ist, zumal für den Religionsunterricht Studierender. (2) Mentorat/Fallbesprechungsgruppe: Begleitung des studentischen Religionsunterrichts durch mindestens sporadisch stattfindende Begleitveranstaltungen hochschulischen Charakters. Hochschulseitig könnten diese – von ganz wenigen erfreulichen Ausnahmen abgesehen – nur als freiwillige Angebote und über Deputat angeboten werden, würden also zusätzliches Engagement von Hochschullehrenden voraussetzen. Schon daraus ergibt sich ein deutlicher Appell für Option (1).
Etwas anders liegen die Dinge in Sachen der kirchlichen Begleitung von Studierenden des Lehramts Evangelische Theologie. Dreizehn Gliedkirchen der EKD bieten Formate der kirchlichen Studienbegleitung an. Zumeist verpflichtend für die Erlangung der Vocatio halten sie Seminar-, Einkehr- und/oder Kennenlerntage ab, um die Studierenden darauf vorzubereiten, dass sie (auch) ein kirchliches Amt anstreben. Format und Umfang sind recht unterschiedlich, (Andrews & Böhme 2020, S. 95-129), dass es sie aber gibt, eint jedoch keine kleine Zahl von Kirchen. Der Zugang zu den Studierenden ist direkt, die meisten Landeskirchen erklären zumindest einen Teil des Begleitprogramms für verbindlich – was nicht unumstritten ist (Simojoki, 2020). Eine inhaltlich befüllbare Kontaktmöglichkeit stellt es gleichwohl dar. Man kann es durchaus zum kirchlichen Interesse zählen, dass, wenn Religionsunterricht schon durch Studierende stattfindet, dies in der kirchlichen Studienbegleitung eine ausweisbare Rolle spielt und sie sich deswegen an der Arbeit an der je eigenen Theologie auch beteiligt. Freilich sind die Programme der kirchlichen Studierendenbegleitung derart unterschiedlich, dass auf eine Einigung auf das hier Skizzierte als Fokus jedenfalls für die nähere Zukunft kaum gehofft werden kann.
In der Zusammenschau heißt das wohl: Unbegleiteter Religionsunterricht durch Studierende ist weit verbreitet, das strikte „Nein“ dazu, das der Evangelisch- Theologische Fakultätentag und die Konferenz der Institute für Evangelische Theologie im Jahr 2017 beschlossen haben, ist offenbar nicht durchzusetzen und würde überdies die ohnehin weit fortgeschrittene Marginalisierung des schulischen Religionsunterrichts noch weiter vorantreiben. Im unbegleiteten Religionsunterricht zeigt sich ungünstigenfalls eine Immunisierungsstrategie, die jedoch nicht auf ihn begrenzt ist. Die Gegenstrategie besteht darin, auf das Projekt der je eigenen Theologie zu fokussieren, für das sowohl religionspädagogisch als auch aus verschiedenen Lagern der Systematischen Theologie gute Gründe vorgebracht werden. So ergibt sich, dass die Arbeit für die und an der je eigenen Theologie eine Aufgabe aller Beteiligten ist: Ǫuerschnittaufgabe der Hochschullehre wie eine in den Fokus zu rückende Verantwortung auch der kirchlichen Studienbegleitung.
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Dr. Maren Bienert, Professorin für Evangelische Theologie / Systematische Theologie, Universität Hildesheim.
Dr. Martin Hailer, Professor für Evangelische Theologie und ihre Didaktik, Schwerpunkt Systematische Theologie, Pädagogische Hochschule Heidelberg.
1 Eine Kurzversion des Abschnitts 1) lag der KIET-Plenarversammlung 2024 als Tischvorlage vor, die von der Autorin und dem Autor dieses Beitrags verfasst wurde und zur Gründung einer KIET-AG „(De-) Professionalisierung von angehenden Lehrkräften“ führte, zu der wiederum die beiden gehören.