Truly Educational.
Handlungsspielräume theologischer Hochschullehre angesichts des Religionslehrkräftemangels
Moritz Emmelmann
Zusammenfassung
Der Mangel an Nachwuchs für das Religionslehramt wird in absehbarer Zeit flächendeckend sein. Angesichts dessen lotet der Aufsatz Möglichkeiten aus, die theologische Hochschullehre mit kleinen und sehr kleinen Gruppen zu verbessern. Drei vielversprechende Handlungsspielräume hierfür sind die Adressat:innenorientierung der Lehre, die Vernetzung mit außerakademischen Lernorten und die Erhöhung ökumenischer, interreligiöser und interkultureller Anteile im Theologiestudium. Maßnahmen in diesen Bereichen helfen dabei, persönlich und fachlich gewinnbringende Bildungsprozesse anzustoßen, und sind zugleich eine Gelegenheit, Studierende und weitere Stakeholder in die Entwicklung von Studienkonzepten einzubinden. Der Aufsatz weist exemplarisch auf die umfangreiche nordamerikanische Theoriebildung zur theologischen Hochschuldidaktik hin, die sich der Frage widmet, wie sich das Studium für Studierende als „truly educational“ erweisen kann.
Schlagwörter: Hochschuldidaktik, Vielfalt, Subjektorientierung, Kontextualität,
Ökumenische Zusammenarbeit
Truly Educational.
Options for Developing Theological Education in Germany
in View of a Severe RE Teacher Shortage
Abstract
The lack of students training to be RE teachers is set to become a nationwide problem in Germany by 2035. In view of this, the article describes options for improving theological education with small and very small groups of learners. Three promising measures are: a closer attunement to the students' diverse learning interests and needs, incorporating contextual, non-academic resources, and strengthening ecumenical, intercultural, and interreligious elements in RE teacher education. Such efforts are an opportunity to involve students and other stakeholders in designing study programs and classes that are experienced as personally relevant, professionally valuable, and academically rigorous, or in short: as truly educational.
Keywords: Theological education, diversity, subject-orientation, contextual education,
ecumenical education
Eine Binsenweisheit der Bildungspolitik lautet: Strategisches Handeln fällt schwer und Maßnahmen werden gehemmt, wenn sich die Einschätzung der Gesamtlage häufig ändert. Diese Gefahr sollte mit Blick auf den (Religions-)Lehrkräftemangel nicht bestehen. Zahlreichen Berechnungen zufolge wird sich der vielerorts längst spürbare Mangel bis spätestens 2035 zu einer „nicht mehr nur regional oder spezifisch- disziplinären, sondern einer gesamtgesellschaftlichen Bedarfskrise“ auswachsen (Winter, Kaiser, Nonte et al., 2024, 1547). Die unmittelbaren administrativen Folgen für den Religionsunterricht liegen auf der Hand: Wo qualifizierte Lehrer:innen fehlen, wird der Unterricht noch häufiger ausfallen, noch häufiger fachfremd oder von studentischen Vertretungskräften erteilt werden. Kooperative oder integrative Unterrichtsmodelle verringern zwar die Zahl der Lerngruppen, aber auch sie benötigen Lehrer:innen mit Expertise und sind durch den pragmatischen Verweis auf Personalmangel allein nicht hinreichend begründet. Man mag erleichtert sein, wenn sich die Einschreibezahlen an der eigenen Fakultät oder dem eigenen Institut zu stabilisieren scheinen – oder wenn sie zumindest so fluktuieren, dass auch „gute Jahre“ dabei sind. Die in ihren Grundzügen klare Gesamtlage gibt den Mitwirkenden an der ersten Ausbildungsphase jedoch keinen Anlass, den Religionslehrkräfte- bzw. Studierendenmangel als ein Problem anderer Standorte zu betrachten und sich davon entlastet zu fühlen, ihm zu begegnen. Wo also kann man beginnen?
Die Herausgebenden haben mich eingeladen, dieser Frage in einigen Thesen nachzugehen und die Handlungsspielräume auszuloten, die in der theologischen Hochschullehre bestehen, um auf den Bedarf an Religionslehrkräften zu reagieren. Von hochschuldidaktischen Maßnahmen darf man gewiss nicht erwarten, dass sie zu einer Trendwende bei der Berufsentscheidung zum:zur Religionslehrer:in führen, denn hochschulexterne Faktoren stehen den potenziellen Studienanfänger:innen viel deutlicher vor Augen. Es leuchtet ein, wenn Ulrich Riegel und Mirjam Zimmermann am Ende ihrer bundesweiten empirischen Studie urteilen: „Wer die Attraktivität dieses Studiums […] steigern will, muss wohl das öffentliche Ansehen der Kirchen steigern“ (Riegel & Zimmermann, 2022, 154). Aber ist es darum fehlgeleitet, wenn Dozierende ihre eigene Lehre und das Fakultätsleben mit kritischem Blick prüfen und beides so gestalten wollen, dass im nächsten Semester (oder am liebsten zur nächsten Sitzung) mehr Studierende kommen? Ich denke nicht. Wer dem Lehrkräftemangel mit hochschuldidaktischen Maßnahmen begegnen will, sollte sich nur bewusst sein, dass damit ein Reigen der Mittelbarkeiten begonnen ist, der ein gewisses Enttäuschungspotenzial birgt. Denn zwar sind Studierende Multiplikator:innen ihrer persönlichen Studien- und späteren Berufserfahrung, die sowohl im kirchenaffinen Milieu, aus dem sich der Religionslehrkräftenachwuchs traditionell rekrutiert hat, als auch in weniger religiös sozialisierten Kreisen für das Theologiestudium werben oder davon abraten können. Aber angesichts dieser mittel- oder langfristigen, vielfach vermittelten und womöglich auch nur schwachen Effekte sollte niemand erwarten, mit Blick auf das Kriterium „Einschreibungen“ von der eigenen Lehre zu profitieren. Vielleicht fällt es den Pädagog:innen unter den Theologiedozierenden leichter als anderen, diese „Blackbox“ ihrer Bildungsbemühungen zu akzeptieren, sind sie doch bestens vertraut mit der Unverfügbarkeit mancher Ziele. In jedem Fall hilft etwas Distanz zum numerischen Erfolgskriterium dabei, kreativ über Handlungsspielräume nachzudenken und ausdauernd an der Verbesserung der Lehre zu arbeiten. Diese Anstrengungen lohnen sich nicht erst dann, wenn im Seminarraum die Stühle knapp werden. Auch ertragreichere Veranstaltungen mit kleinen und sehr kleinen Gruppen, die die Studierenden in intensive Bildungsprozesse verwickeln, wären schon ein Gewinn für alle Beteiligten.
Die umfangreiche nordamerikanische Theoriebildung zur theologischen Hochschuldidaktik, die unter dem Stichwort „theological education“ v.a. von der dortigen Praktischen Theologie entwickelt wird, fragt seit ihren Anfängen in den 1980er Jahren immer wieder neu, was das Studium „truly educational“ werden lässt (Emmelmann, 2024, 298-30, 211-215, 2-6). Diese Besinnung darauf, was unter den jeweiligen Lernbedingungen entscheidend oder „wahrhaft bildsam“ ist, hat zwei Seiten: Zum einen sollen Wissensbestände und methodische Fertigkeiten identifiziert werden, die elementar dafür sind, die Bildungsgehalte akademischer Theologie zu heben. Die Hochschuldidaktik nimmt also die Orientierung an Forschung als Ergebnis und Prozess in den Blick. Zum anderen zielt die Frage darauf, wie das persönliche Relevanzempfinden der Studierenden gesteigert und Möglichkeiten für authentische Bildungserfahrungen geschaffen werden können. In dieser Richtung strebt die amerikanische Hochschuldidaktik der Theologie eine Verschränkung von wissenschaftlichen, berufs- oder handlungsbezogenen und personalen Aspekten des Studiums an. Beide Facetten guter Lehre – Forschungsorientierung und Studierendenorientierung – sind wichtige Wettbewerbsfaktoren auf dem kompetitiven Markt theologischer Hochschulbildung in Nordamerika. Aus naheliegenden Gründen akzentuieren die Seminaries und Divinity Schools den zweiten Aspekt besonders stark: Die Zufriedenheit der zahlenden Studierenden und eine hohe Auslastung der Studiengänge sind notwendig für das wirtschaftliche Fortbestehen der privaten Hochschulen, die allerwohlhabendsten einmal ausgenommen. Ein Nebeneffekt der auch in Nordamerika stark sinkenden Studierendenzahlen ist darüber hinaus eine nochmals gesteigerte Heterogenität der Studierendenschaft an den einzelnen Standorten. Die wenigsten Hochschulen kommen noch damit aus, gemäß dem traditionellen Arrangement den theologischen Nachwuchs v.a. einer einzelnen Denomination auszubilden. Die innerchristliche Vielfalt der Studierendenschaft bringt ein hohes Maß ethnischer, sozialer und religionskultureller Diversität mit sich, die nicht zuletzt aufgrund historischer und gegenwärtiger Gewalterfahrungen konfliktbesetzt ist und in den Lehrveranstaltungen ebenso wie im (sozialen und religiösen) Leben auf dem Campus aufgenommen werden muss. Es ist leicht zu sehen, dass in diesen Settings nicht an den konkreten Studierendengruppen und deren Anliegen vorbei gelehrt und gelernt werden kann.
Das amerikanische Verständnis von Theological Education, das sich seit Impulsgebern wie Edward Farley und Don S. Browning im hier nur angedeuteten Umfeld ausgeprägt hat und in gegenwärtigen hochschuldidaktischen Ansätzen fortwirkt, lässt sich wie folgt bündeln: Das Theologiestudium soll intellektuelle, handlungsorientierende und personengerechte Bildung ermöglichen und sowohl in der Lehre als auch im Miteinander auf dem Campus berücksichtigen, dass die Auseinandersetzung mit akademischer Theologie auf die religiösen Bildungsprozesse verwiesen ist, in denen die Studierenden stehen (Emmelmann, 2024, 320-333). Es lohnt sich trotz der kontextuellen Unterschiede, den Gang der hochschuldidaktischen Konzeptentwicklung in Zeitschriften wie Teaching Theology & Religion, Auburn Studies oder dem dezidiert international aufgestellten InSights Journal mitzuverfolgen und die Gewohnheiten des eigenen Standorts, der eigenen Lehre zu hinterfragen.1 Mit Blick auf die absehbar bundesweite Herausforderung des Lehrkräftemangels halte ich es für mindestens ebenso wichtig, dass Dozierende in Deutschland in den Austausch über ihre hochschuldidaktischen Bedarfslagen, Lerngruppen, Lehrkonzepte und Materialien treten – auch mit der Perspektive, passgenaue theologie- oder sogar disziplinspezifische Weiterbildungen zu entwickeln. Im Rahmen der Tagung „Forschung und Lehre in naher Zukunft“, die gemeinsam von EKD, E-TFT und der Mittelbauvereinigung IVWM ausgerichtet wurde, haben Early Career Researchers diesen Prozess im Frühjahr 2024 begonnen. Das Anliegen der dort gebildeten, noch informellen Arbeitsgruppe ist es, Innovationen der Hochschuldidaktik als gemeinsame Aufgabe aller theologischen Disziplinen zu markieren und einander die Expertise zugänglich zu machen, die aus den disziplinär unterschiedlichen praktischen Herausforderungen erwächst. Ich möchte im Folgenden sowohl auf Grundlage der US-amerikanischen Forschung als auch im Horizont dieser beginnenden Gespräche v.a. unter Angehörigen des Mittelbaus drei Bereiche skizzieren, die Handlungsspielraum für die Lehre, Studienangebote und Campusleben bieten. Der Austausch darüber könnte unter der Leitfrage weitergeführt werden: „What makes RE teacher education truly educational“?
Ein erster unabdingbarer Teil didaktischer Innovation in theologischen Studiengängen ist eine passgenauere Orientierung an den Studieninteressen und Lernvoraussetzungen der Adressat:innen. Dies benötigt zuallererst Zeit, vorzugsweise in den ersten Wochen einer Lehrveranstaltung, in der Studierende ihre inhaltlichen und persönlichen Erwartungen artikulieren können. Dozierende müssen diesen Prozess moderierend und durch Arrangements unterstützen, damit er nicht oberflächlich gerät: Sie sollten unterstreichen, dass ein individuelles Klärungsinteresse nicht nur aus vorherigen Studienerfahrungen, sondern auch aus außerakademischen, biografischen Erfahrungen entspringt und dass dies legitim den Lernprozess in der jeweiligen Veranstaltung antreiben kann. Methodisch kann diese Klärung vielfältig gestaltet werden – wichtig ist, dass die Einladung glaubhaft ausgesprochen wird, die persönliche Involviertheit in oder das Befremden mit einem Thema zu entdecken, und dass ein Austausch darüber nur soweit geht, wie es dem Grad an Vertrauen entspricht, das die Studierenden zueinander und zum:zur Dozent:in haben. Je nach Thema und Lerngruppe werden dabei in unterschiedlichem Maße Interessen hervortreten, die sich auf gegenwartshermeneutische, berufsbezogene, theologisch-fachwissenschaftliche, religiöse, ethische und politische Fragen richten oder einzelnen Diversitätsfaktoren (der Studierenden selbst oder ihrer prospektiven Schüler:innen) gelten. Wenn Hochschullehrende diesen Fragen Raum geben, unterstützen sie die Studierenden bei einer schwierigen intellektuellen Aufgabe, die Kathleen Cahalan als „diagonal integration“ bezeichnet und die sie ohnehin lösen müssen: Kulturelle, politische und biografische Ereignisse ragen in das Studium hinein und verlangen danach, zu den Themen der Theologie in Beziehung gesetzt zu werden (Cahalan, 2017, 81-84). Dafür müssen Seminarpläne oder Vorlesungsmanuskripte nicht spontan umgeworfen worden. Es lassen sich mit überschaubarem Aufwand binnendifferenzierte Phasen oder Arbeitsmodi einplanen, in denen die Studierenden ihre spezifischen Interessen verfolgen und anschließend die Produkte ihres Selbststudiums diskutieren oder digital zugänglich machen. Portfolios, Wikis, Essays, Hausarbeiten, Kolloquienbeiträge u.v.a.m. können zudem als Prüfungsleistung dienen. Die Kapazitäten für die erforderliche, intensivere Betreuung setzen kleinere Studierendenkohorten vielerorts frei (Riegel & Zimmermann, 2022, 155) und die Arbeit der Studierenden außerhalb der Lehrveranstaltungen ist in den Credit-Zuweisungen ohnehin eingepreist.
Ein zweiter wertvoller Handlungsspielraum liegt darin, das Theologiestudium enger mit außeruniversitären Bildungsressourcen und -angeboten zu vernetzen bzw. diese effektiver auszuschöpfen. Im Zusammenhang der (Religions-)Lehrkräftebildung ist dabei zuerst an schulische Praxisphasen zu denken: Diese profitieren davon, wenn ein fester Pool von Kooperationsschulen aufgebaut wird, mit denen Institute und Fakultäten Ǫualitätskriterien für Praktika bzw. Praxissemester entwickeln, sodass sich die betreuenden Lehrkräfte auf eine gründliche Vorbereitung der Studierenden verlassen können und Hochschuldozierende eine mit ihren Ausbildungszielen harmonierende Begleitung in der Schulphase erwarten können. Der an der Candler School of Theology in Atlanta praktizierte Ansatz der „contextual theological education“ geht noch einen Schritt weiter in Richtung eines dualen Studiums, indem die Studierenden die gesamte Studienzeit über rund einen Arbeitstag pro Woche an zukünftigen Dienstorten wie Kirchengemeinden und sozialen Einrichtungen tätig sind und wöchentliche Mentoring- Gespräche mit ihren dortigen Anleiter:innen führen, die ihrerseits an der theologischen Hochschule dafür fortgebildet werden (Elliott, 2020, 324-327). Arrangements wie diese könnten den Wunsch vieler Lehramtsstudierender nach substanziellen Praxiserfahrungen erfüllen, deren Verzahnung mit dem wissenschaftlichen Studium und seinen Ausbildungskriterien verbessern und nicht zuletzt dem Risiko entgegenwirken, dass Studierende sich in ausgedehnten Praxisphasen oder gar durch eine Tätigkeit als eigenständige Aushilfslehrkraft unprofessionelle Gewohnheiten aneignen.
Kontextuelle Ressourcen sind nicht nur an Praktikumsschulen zu finden, wenn Dozierende sich mit den regionalen und standortspezifischen Möglichkeiten vertraut machen, in ihrer Lehre auf geeignete außeruniversitäre Bildungsangebote hinweisen und dafür Anknüpfungspunkte in den Lehrveranstaltungen schaffen. Hierfür eignen sich die vielerorts schon eingerichteten Programme der kirchlichen Mentorate für Lehramtsstudierende, die von Studierenden getragenen Veranstaltungen in theologischen Wohnheimen und Hochschulgemeinden, geisteswissenschaftliche Schülerlabore, religionspädagogische Institute, Vereine und Museen u.v.a.m.2 Auch hier kann es erforderlich sein, Zeit zu investieren, um neue Vernetzungen und ggf. Kooperationen aufzubauen. Da die Angebote dieser Akteure sich in der Bildungslandschaft, zu der auch die Institute und Fakultäten gehören, aber ohnehin überlagern und die Lernerfahrung mancher Studierender gemeinsam prägen, legt sich die Chance nahe, ihr Zusammenwirken auch vonseiten der Hochschullehre explizit zu suchen und gezielt zur Verbesserung der „educational experience“ zu stärken, anstatt sich von zufälligen Effekten überraschen zu lassen. Einen strukturierten Weg hierhin bietet die Methode des „Design Thinking“, mit der v.a. Dozierende und Studierende, potenziell aber auch weitere Stakeholder der Lehrer:innenbildung, gemeinsam Entwicklungspotenziale identifizieren und kreative Lösungen entwerfen können, die ihren divergierenden Interessen gerecht werden und mit allgemeinen Maßgaben für Studienprogramme am jeweiligen Standort harmonieren (Lehner, 2024, 124-130).
Ein weiterer Handlungsspielraum, mehr noch: ein Imperativ der Religionslehrer:innenbildung besteht darin, deutlich mehr Gelegenheiten für ökumenische, interkulturelle und interreligiöse Bildung im Studium und in seinem Umfeld zu schaffen. Die Notwendigkeit besserer Kenntnisse der katholischen bzw. evangelischen Theologie ist in Bundesländern mit konfessionell-kooperativem oder konfessionsgemeinsamem Religionsunterricht offenkundig. Er kann vielerorts in Ermangelung einer Geschwisterfakultät nur durch standortübergreifende Kooperationen gedeckt werden, die bislang unregelmäßig zustande kommen und von den Kontakten einzelner Dozierender abhängig sind. Wünschenswert wäre ein Wahlpflichtmodul, das an einer Fakultät oder einem Institut der jeweils anderen Konfession absolviert wird, idealerweise vor Ort oder im Rahmen eines Gastsemesters, realistischer aber durch die Teilnahme an hybriden Lehrveranstaltungen. Die Verabredungen hierzu müssten dann jedoch verbindlich zwischen kooperationswilligen Instituten und Fakultäten getroffen werden, um die Studierbarkeit zu gewährleisten. Ebenso wichtig erscheint es, den Anteil der Interkulturellen Theologie am Lehramtsstudium zu steigern und, wo irgend möglich, die islamische und jüdische Theologie im Rahmen von Lehrveranstaltungen oder ganzen Modulen ins Gespräch zu ziehen. Die Diskrepanz zwischen der kulturellen und religiösen Diversität angehender Religionslehrer:innen und derjenigen ihrer Schüler:innen ist eine massive didaktische Herausforderung, die ohne profunde Sachkenntnis und persönliche Erfahrungen der Studierenden mit interkulturellem Kontakt kaum zu bewältigen ist. Wiederum könnten digital gestützte, auch internationale Kooperationen das Mittel der Wahl sein. Königswege jedoch wären: internationale Studiengänge vor Ort, zu denen gemeinsame Veranstaltungen mit dem Lehramts- und Pfarramtsstudium gehören; ein Kontakt zwischen Fakultäten/Instituten und Migrationsgemeinden, die zu Lernorten werden können und aus denen womöglich auch Personen das Studium aufnehmen; und schließlich eine größere Diversität der Lehrenden.
Zusammengenommen sind die obigen Überlegungen ein Appell, sich die Projektförmigkeit des Theologiestudiums in Erinnerung zu rufen. Angesichts des Lehrer:innenmangels ist bei allen Beteiligten eine Haltung des unverzagten „Entwerfens“ gefragt: Studierende, die sich als Gestalter:innen ihres eigenen Bildungswegs erleben und entwerfen, wohin sie sich während der Studienzeit entwickeln möchten. Dozierende, die Wege adressat:innen- und sachgerechter Lehre entwerfen sowie ein stimmiges Selbstkonzept als Hochschullehrer:in. Fakultäts- und Institutsleitungen, die strategisch entwerfen, wie Menschen für das Religionslehramt gewonnen und dieses mit persönlichem und beruflichem Gewinn durchlaufen können. All diese Personen wiederum für diese „Arbeit am Entwurf“ zu gewinnen und ihnen Zeit und Mittel dafür zu geben, ist eine Aufgabe für sich. Der Selbstappell ist der einfachste Teil.
Elliott, Thomas W. (2020), Contextual Theological Education. A Creative, Integrated Model between the Academic and the Practical, in: Schröder, Bernd (Hg.), Pfarrer oder Pfarrerin werden und sein. Herausforderungen für Beruf und theologische Bildung in Studium, Vikariat und Fortbildung (VWGTh 61), Leipzig, 321-330.
Emmelmann, Moritz (2024), Bildung in der Praktischen Theologie der USA. Disziplingeschichtliche und systematische Untersuchungen in religionspädagogischem Interesse (PThGG 43), Tübingen.
Lehner, Marion (2024), Design Thinking in der Lehre meets 21st-Century Skills. Ein innovativer Ansatz für die Hochschullehre, in: Axelsson, Charlotte/Blume, Dana/Volk, Benno (Hg.), Bildung, Praxistransfer und Kooperation. Kompetenzentwicklung für die Hochschullehre in Netzwerken (Medien- und Gestaltungsästhetik 19), Bielefeld, 119- 133.
Riegel, Ulrich/Zimmermann, Mirjam (2022), Studium und Religionsunterricht. Eine bundesweite empirische Untersuchung unter Studierenden der Theologie, Stuttgart.
Winter, Isabelle/Kaiser, Till/Nonte, Sonja/Bellenberg, Gabriele/Reintjes, Christian (2024), Fachfremder Vertretungsunterricht von Lehramtsstudierenden. Eine Bestandsaufnahme in Niedersachsen, in: ZfE 27, 1545-1568.
Dr. Moritz Emmelmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Praktische Theologie mit den Schwerpunkten Religionspädagogik und Bildungsforschung an der Georg-August-Universität Göttingen.
1 Die Zeitschrift Theological Education, herausgegeben von der Akkreditierungsgesellschaft ATS und das bisherige Flaggschiff des hochschuldidaktischen Diskurses in Nordamerika, wurde zu Beginn der Covid-19- Pandemie pausiert und ist bisher leider nicht wieder erschienen.
2 Besonders die erstgenannten Mentorate und studentischen Veranstaltungen bieten Gelegenheit, sich über die eigene religiöse Sozialisation auszutauschen und deren Bandbreite unter den Kommiliton:innen kennenzulernen, was auch weitgehende Religionslosigkeit umfassen kann.