Wie kommt der RU zu seinen Inhalten? – Ǫualität von RU und Lernen – Religion im RU – Ist die Bibel frauenfeindlich? – Verantwortung in der evangelischen Ethik – Gottesbilder – Virtuelle Realität und Transzendenz. Hinweise auf interessante Neuerscheinungen für religionspädagogisch Interessierte
Martin Schreiner
Zusammenfassung
Vorgestellt werden Neuerscheinungen in den Bereichen Religionsdidaktik und Religionspädagogik, Biblische Theologie, weitere theologische Disziplinen, Bilderbücher und Kinderbücher sowie Unterrichtsmaterialien.
How does RE get its content? – Ǫuality of RE and learning – Religion in RE – Is the Bible misogynistic? – Responsibility in Protestant ethics – Images of God – Virtual reality and transcendence. References to interesting new publications for those interested in Religious Education
Abstract
New publications in the fields of religious education and pedagogy, biblical theology, other theological disciplines, picture books and children's books, as well as teaching materials will be presented.
Tanja Gojny, Susanne Schwarz und Ulrike Witten zeichnen als Herausgebende verantwortlich für den im Verlag transcript (8376-6857-5) in der neuen Reihe „Religion und Bildung diskursiv“ erschienenen Band Wie kommt der Religionsunterricht zu seinen Inhalten. Erkundungen zwischen Fridays for Future, Abraham und Sühneopfertheologie. Sie erklären in der Hinführung zu ihrem innovativen Ansatz: „Die inhaltliche Dimension des Religionsunterrichts berührt religionspädagogisches sowie religionsdidaktisches Nachdenken in ihrem Kern. Trotzdem spielt die Inhaltsfrage im Fachdiskurs eine untergeordnete Rolle. Neue Rahmenbedingungen des Fachs wie
Kompetenzorientierung, Digitalisierung und Inklusion haben die Frage nach den Inhalten in den Hintergrund treten lassen. Zugleich scheint sich unabhängig von aktuellen Theoriediskursen in den Lehr- und Bildungsplänen sowie in den schulinternen Curricula ein stabiler Kranz an religionsunterrichtlichen Themen etabliert zu haben. Gerade jedoch aktuelle Entwicklungen in den sozialisatorischen und lebensweltlichen Voraussetzungen der Teilnehmenden wie auch Überlegungen zu pluralitäts und heterogenitätssensiblen Modellen von Religionsunterricht zeigen, wie wichtig eine theoriegeleitete und theoriebildende Auseinandersetzung mit der Frage nach der Gewinnung religionsunterrichtlicher Inhalte und Themen ist“ (11). Die vorliegende Veröffentlichung verfolgt drei Ziele: „Die Prozesse der Auswahl bzw. der Konstruktion von religionsunterrichtlichen Inhalten sichtbar zu machen, zu reflektieren und ggf. zu entwerfen – sowie die Kriterien und Modelle, die jene Prozesse auf verschiedenen Ebenen bestimmen; die Konsequenzen unterschiedlicher religionspädagogischer bzw. - didaktischer Ansätze und Perspektiven für die Frage nach der Auswahl und Konstruktion von Inhalten für bzw. im Religionsunterricht herauszuarbeiten wie zu diskutieren und Impulse für die theoriebildende und praxisbezogene Weiterarbeit an der inhaltlichen Dimension des Religionsunterrichts zu gewinnen. Es geht dabei nicht primär um eine Rekonstruktion von Inhalten oder um eine Lehrplangenese oder Analyse einer in Lehrplänen und Unterrichtsmedien enthaltenen kontextuellen Theologie, sondern um die Frage, wie die Inhalte in den Religionsunterricht kommen. Der für diesen Band gewählte Untertitel verweist exemplarisch darauf, wie groß die Bandbreite dessen ist, was im Religionsunterricht zum Inhalt wird bzw. werden könnte. Die inhaltlichen Schlagworte stehen pars pro toto für kontrovers z.T. auch in der Öffentlichkeit diskutierte Forderungen an die inhaltliche Bestimmung des Faches – wie z.B. mehr aktuelle und gegenwartsbezogene Themen, mehr interreligiöse Öffnung, mehr christlich- theologisches Basiswissen jenseits vordergründiger Aktualisierungen und Relevanzbehauptungen, wobei sich die Liste an Forderungen leicht fortsetzen ließe.
Damit ist auch angedeutet, dass das Ringen um das, worum es inhaltlich in diesem Fach gehen soll, mindestens so viel Aufmerksamkeit verdient wie die Frage nach neuen Organisationsmodellen – und dass letztendlich die Frage nach den Inhalten des Faches nicht von der Frage nach der rechtlichen und organisatorischen Rahmung getrennt werden kann“ (11-12). Das umfangreiche Buch ist wie folgt gegliedert: „Eröffnet wird der Band mit einem ersten Teil, der die Aktualität und Brisanz der Inhaltsfrage herausstellt. Darin erörtern Tanja Gojny, Susanne Schwarz und Ulrike Witten mehrperspektivisch, warum die Inhaltsfrage neu zu stellen ist. Denn der vorliegende Band stellt die Inhaltsfrage nicht zum ersten Mal: Sie wurde bereits im Zuge der Auseinandersetzung mit der Curriculumtheorie sowie der Kompetenzorientierung vor allem in Bezug auf die Ausgestaltung der Lehrpläne diskutiert und auch in Bezug auf bestimmte didaktische Konzeptionen theoretisiert. In einem sich wandelnden Religionsunterricht stellt sich jedoch die Frage nach der Gewinnung der Inhalte mit verstärkter Vehemenz und erfordert eine Theoretisierung. Dies wird auch deutlich durch den Beitrag von Bernd Schröder, in dem er historische Linien der Entwicklung religionsunterrichtlicher Inhalte nachzeichnet und systematisch nach der Mitte des Religionsunterrichts fragt. Im zweiten Teil Die Inhaltsfrage im Religionsunterricht – mehrperspektivische Annäherungen diskutieren Wissenschaftler:innen die Inhaltsfrage aus der Perspektive unterschiedlicher religionspädagogischer Bezugsdisziplinen. Martin Rothgangel zeigt in seinem Beitrag auf, inwiefern das innovative Potential der Allgemeinen Fachdidaktik im Vergleich zur Allgemeinen Didaktik gerade anhand der Inhaltsfrage deutlich wird. Der
Alttestamentler Sebastian Grätz geht in seinem Beitrag zwar davon aus, dass die Frage der Gewinnung fachlicher Inhalte aus der alttestamentlichen Wissenschaft komplex ist, weil Fachwissenschaft und Fachdidaktik unterschiedlichen Fachlogiken unterliegen.
Gleichzeitig macht er die These stark, dass diese Aufgabe dadurch erleichtert wird, dass das Alte Testament selbst ein ‚Lehr- und Lernbuch‘ ist, das seine Didaktik bereits in sich trägt. Gudrun Guttenberger schärft in ihrem Aufsatz den Blick für die Spannungen zwischen der Fachdidaktik und der neutestamentlichen Wissenschaft, für das Zusammenwirken theologischer Teildisziplinen bei der didaktischen Auswahl und Konstruktion religionsunterrichtlicher Inhalte sowie für Funktionalisierungen von Bibeltexten in Kirche, Gesellschaft und Unterricht. Die provokative Frage ‚Brauchen wir das noch oder kann das weg?‘ beantwortet Nadine Hamilton aus Perspektive der Systematischen Theologie pointiert mit einem Plädoyer für ein Bewahren traditioneller Lehrbestimmungen für den Religionsunterricht sowie für ein erkennbares systematisch- theologisches Profil religionsunterrichtlicher Inhalte.
Aus ethischer Perspektive geht Klaas Huizing von der Beobachtung aus, dass es in den Gesellschaftswissenschaften einen Drift zu Theorien gelingenden Lebens gibt und existentielle Fragen in einer unübersichtlichen und digitalisierten Welt hoch im Kurs stehen. Vor diesem Hintergrund wirbt er dafür, an die Pädagogik der (milde optimistischen) Weisheitstheologie anzuknüpfen, die in der biblischen Kultur oft zugunsten der Prophetie vernachlässigt wird. Ulrich Wien entfaltet zunächst grundlegend die Bildungsbedeutung kirchengeschichtlicher Inhalte für Schüler:innen. Mit Blick auf die didaktische Konstruktion konkreter kirchengeschichtlicher Inhalte und Themen argumentiert er für einen Paradigmenwechsel. Die Religionswissenschaftlerin Daria Pezzoli-Olgiati gibt in ihrem Beitrag einen Überblick über die Prozesse und Entscheidungen, die zur Einrichtung eines verpflichtenden kulturhistorisch ausgerichteten Religionsunterrichts führten und reflektiert die z.T. disparaten und kontrovers diskutierten Kriterien, die direkt sowie auch indirekt (z.B. durch die Berufung bestimmter Personen in die Arbeitsgruppen) die Auswahl und Konturierung der Inhalte dieses Faches beeinflusst haben. Im dritten Teil zu den empirischen Perspektiven auf die inhaltliche Dimension des Faches nimmt im ersten Überblicksbeitrag dazu Susanne Schwarz Schüler:innen- und Lehrkräftestudien sowie Arbeiten aus der empirischen Unterrichtsforschung in den Blick und identifiziert vor allem implizite und weniger explizite Bezüge zur Inhaltsfrage, aus denen sie Impulse für die theoriebildende Auseinandersetzung mit der Inhaltsfrage generiert. Michael Fricke hat aufgrund des überwiegenden Desiderats eine eigene (explorative) Studie für Religionslehrkräfte entworfen, durchgeführt und ausgewertet, mit der er nach den (un-)gern unterrichteten Themen des Faches Religion fragt. Aus bzw. in der Perspektive der Unterrichtsforschung eruiert Hanna Roose exemplarisch Eigenlogiken im Blick auf das, was wirklich zum Inhalt wird. So zeigen sich in den gewählten Unterrichtsausschnitten Ethisierungen der Inhalte, die Roose als Rückfrage an die Vorstellungen von Fachlichkeit auf der einen sowie an den stabilisierenden Beitrag der Eigenlogik des Faches auf der anderen Seite präsentiert. Einer bislang nicht erschlossenen (Praxis-)Ǫuelle zur Inhaltsfrage wendet sich Tanja Gojny zu: den Religionsheften/-heftern. Der vierte Teil des Bandes reflektiert aus drei Perspektiven die Inhaltsfrage im Kontext von Lehrplantheorie und Lehrplanentwicklung. Aus einer Beteiligtenperspektive stellt die langjährig mit der Lehrplanarbeit befasste Bärbel Husmann dar, wodurch das Zustandekommen von Lehrplänen beeinflusst wird und welche Prozesse und Gegebenheiten von Macht dabei eine Rolle spielen. Ulrike Witten untersucht verschiedene Lehrplangenerationen und
kommt durch den historischen Vergleich, der maximale wie minimale Kontrastierungen enthält, zu dem Schluss, dass sowohl Kontinuität als auch Wandel die Lehrplanentwicklung prägen, wobei der Wandel sich eher in kleinen Schritten vollzieht. Karlo Meyer nimmt eine internationale Perspektive ein und stellt dar, wie in sechs europäischen Ländern (Deutschland, England, Finnland, Niederlande, Österreich, Schweden) die Prozesse zur Inhalts- und Themenklärung des Religionsunterrichts ablaufen. Es schließt sich ein fünfter Teil des Bandes an, in dem erörtert wird, wie angesichts neuer Herausforderungen, die allesamt religionsdidaktisch-theoriebildend relevant sind und bereits zu lebendigen Forschungsdiskursen geführt haben, sich ‚alte‘ Inhalte verändern sollten und fragt, was im Religionsunterricht mehr berücksichtigt werden sollte und worauf man dafür verzichten muss. Alexander Schimmel und Veit Straßner pointieren dies für das Feld der religiösen Bildung für nachhaltige Entwicklung, wobei sie für eine Neukontextualisierung klassischer Inhalte durch die Nachhaltigkeitsfrage plädieren. Christiane Caspary ruft mit der Friedensbildung ein höchst aktuelles Thema auf, wobei sie für eine Neuakzentuierung friedensethischer Diskurse, die dem Anliegen mehr Raum geben, wirbt. Patrick Grasser und Ilona Nord zeigen, wie Digitalität religiöse Praxis und Wissen über Religion als auch die Ausgestaltung des Unterrichts verändert, was klassische ethische, theologische wie anthropologische Inhalte neu akzentuiert, und plädieren dafür, mehr auf die menschlichen Bedürfnisse in digitalen Zeiten zu fokussieren. Henrik Simojoki reflektiert die globalen Perspektiven, problematisiert den Ruf nach Mehr und schlägt ein multikontextuelles Unterrichten vor, womit sich ein Abschied von volks- und landeskirchlichen Normalitätskonstruktionen verbindet. Im sechsten Teil Wie werden Inhalte gewonnen? Diskussionsbeiträge ausgehend von religionspädagogischen Profilierungen bringen Religionspädagog:innen Impulse ein, die von unterschiedlichen religionsdidaktischen Ansätzen und Perspektivierungen ausgehend die Inhaltsfrage pointieren. Thomas Heller diskutiert in seinem Beitrag die Chancen und Herausforderungen religionsdidaktischer Versuche, die Leitvorstellung der Subjektorientierung für die Unterrichtspraxis umzusetzen. Mit dem Vorschlag, Emotionen als Auswahl- und Strukturprinzip für religionsunterrichtliche Inhalte zu etablieren, die seine Überlegungen zu einer emotionsbasierten Religionsdidaktik fortführen, ergänzt Garsten Gennerich die etablierten Modelle der Inhaltsbestimmung in diesem Fach um einen innovativen Ansatz. Georg Bucher erörtert sowohl die Frage, inwiefern Konfessionslosigkeit ein sinnvolles Unterrichtsthema im Religionsunterricht darstellt, als auch die Frage, inwiefern bei der Konstruktion anderer religionsunterrichtlicher Inhalte bzw. Themen die zunehmende weltanschauliche Pluralität der Teilnehmenden an diesem Fach angemessen berücksichtigt werden kann. Ulrich Riegel entfaltet in seinem Beitrag zunächst die elementaren Konturen religiöser Vielfalt, um hiervon ausgehend acht Modelle bzw. Grundlogiken, nach denen religiöse Vielfalt in der Auswahl religionsunterrichtlicher Inhalte berücksichtigt werden könnte, zu differenzieren. Silke Leonhard bringt eine resonanzorientiert-performative Ermutigung in die Diskussion ein und entwickelt Thesen, die dafür plädieren, Religionsunterricht inhaltlich auch von (christlich-)religiöser Praxis her zu entwickeln. Im siebten Teil des Bandes wird die Frage, wie Inhalte gewonnen werden, ausgehend von religionsunterrichtlichen Modelloptionen diskutiert, denn vor dem Hintergrund der enormen organisatorischen Verschiebungen und Diskurse zum Religionsunterricht und den damit verbundenen inhaltlichen Fragen erscheint es unbedingt notwendig, die Modellfrage des Faches mit dem Inhaltsdiskurs zu verknüpfen. Jan Woppowa beschreibt
und adressiert in seinem Beitrag mit Blick auf den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in seinen unterschiedlichen Realisierungsformen die Notwendigkeit einer kriteriengeleiteten Auswahl wie Bestimmung von Inhalten. Dem weitergeführten Modell des KoKoRU – dem 2025 für Niedersachsen geplanten CRU – widmet sich Joachim Willems, indem er den Planungsprozess des CRU zum Anlass nimmt, den Prozess zur Gewinnung von Inhalten zu beobachten und mit grundsätzlichen (normativen) Überlegungen zu verbinden, die den Autor zu dem Plädoyer führen, inhaltlich den Fokus auf religiös relevante und existentielle Fragen, fachwissenschaftlich-sachliche Perspektiven und Differenzdimensionen in wechselseitiger Verschränkung zu legen. Einen Blick in die Zukunft werfen Fahimah Ulfat und Bruno Landthaler, die einen imaginierten multireligiösen Religionsunterricht mit der Frage nach der Auswahl von Inhalten ins Verhältnis setzen. Im abschließenden Teil werden die vielfältigen Zugänge zur Frage, wie der Religionsunterricht zu seinen Inhalten kommt, von Tanja Gojny, Susanne Schwarz und Ulrike Witten hinsichtlich der in ihnen enthaltenen Spannungsfelder reflektiert und [es wird] aufgezeigt, dass die Theoretisierung der Inhaltsfrage mit dem vorliegenden Band erst eröffnet ist“ (13-17). In ihren abschließenden Überlegungen (393-398) markieren die Herausgeberinnen eine Vielzahl an Ansatzpunkten und Spannungsfeldern für die theoriebildende Arbeit am Diskurs über die inhaltliche Dimension des Religionsunterrichts und plädieren für Neuakzentuierungen des lnhaltsdiskurses. Insgesamt eine wichtige Veröffentlichung zur stets aktuellen Frage nach der Mitte des Religionsunterrichts!
Genauer gesagt, geht es in diesem Band um eines dieser Teilprojekte – um die ǪUIRU- Schüler:innenbefragung – die ihrerseits einen doppelten Schwerpunkt aufweist. Zum einen bezieht sich diese Studie auf die Ǫualität von Unterricht, wie diese von den Schüler:innen wahrgenommen wird und wie sie sich in ihren Lernerfolgen spiegelt, zum anderen geht es um die Entwicklung eines Untersuchungsinstruments, mit dessen Hilfe sich die Ǫualität von Religionsunterricht mithilfe solcher Wahrnehmungen verlässlich erfassen lässt“ (13). Am Ende ihrer Einführung bündeln die Herausgebenden einige ausgewählte Ergebnisse in sechs Thesen: „(1) ǪUIRU beschreibt ein positives Gesamtbild des Religionsunterrichts. Die befragten Kinder und Jugendlichen nehmen diesen Unterricht überwiegend positiv wahr. Auch in diesem Fach kann offenbar etwas gelernt werden, und der Kompetenzerwerb lässt sich empirisch zumindest teilweise nachweisen. Darüber hinaus konnte die positive Wahrnehmung des Religionsunterrichts nicht nur als Allgemeinurteil erfasst werden, sondern mithilfe der bei der Untersuchung eingesetzten Indikatoren (Wissen, Verstehen, Fähigkeit zur Perspektivenübernahme) sowie den aus der Empirischen Bildungsforschung übernommenen Dimensionen der Unterrichtsqualität dargestellt werden. Besonders zu würdigen ist hier beispielsweise die unter dem Aspekt der kognitiven Aktivierung wichtige Einschätzung der Schüler:innen, dass es im Religionsunterricht um Fragen gehe, über die man richtig lange nachdenken muss. (2) ǪUIRU gibt Religionslehrkräften
zahlreiche Anstöße dafür, ihren Unterricht noch gezielter zu gestalten. Für alle bei der Untersuchung berücksichtigten Aspekte und Dimensionen war festzustellen, dass ein nicht zu übergehender Anteil der Schüler:innen bislang noch wenig vom Religionsunterricht erreicht zu werden scheint. Auch über diese Gruppe von Schüler:innen hinaus waren immer wieder deutliche Lücken im religionsbezogenen Wissen zu konstatieren und ergaben sich Fragen hinsichtlich der Kohärenz und Konsistenz des im Religionsunterricht präsentierten Wissens sowie des in diesem Unterricht auszubildenden Verstehens und der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme. In manchen Hinsichten erwachsen aus den Befunden kritische Rückfragen im Blick auf die grundlegenden Ziele des Religionsunterrichts, etwa hinsichtlich der Orientierungsfähigkeit in der religiös-weltanschaulichen Vielfalt der Gegenwart, die in der Realität der Praxis von Religionsunterricht hinter den theoretischen Ansprüchen noch zurückzubleiben scheint. Und während die Schüler:innen der Prozessqualität des Religionsunterrichts ein positives Zeugnis ausstellen, scheint die Fähigkeit der Religionslehrkräfte, die Schüler:innen zu motivieren, weiter ausbaufähig. (3) Die Befunde der empirischen Untersuchung mit den Schüler:innen müssen für die Praxis und gemeinsam mit der Praxis transformiert und in die Praxis transportiert werden.
Diese Einschätzung ergibt sich aus der Art der Untersuchungsergebnisse, kann sich aber vor allem auf Befunde aus den ǪUIRU-Teilprojekten zur Ausbildung und Fortbildung für den Religionsunterricht stützen. Die Religionslehrkräfte selbst beurteilen die Situation so, dass ihnen Befunde aus der empirischen Forschung zum Religionsunterricht zumeist weder in der Ausbildung noch in der Fortbildung begegnet seien und dass es ihnen an einer entsprechenden Vertrautheit mit solchen Befunden fehle. In dieser Hinsicht gibt es in der Religionspädagogik offenbar ein ausgeprägtes Theorie-Praxis- Problem, weshalb hier Anstöße aus anderen Fachdidaktiken und deren Transferforschung zum Theorie-Praxis-Zusammenhang aufgenommen werden sollten.
Ein erster Schritt dazu, diesen Zusammenhang zu stärken, kann darin gesehen werden, dass sich die religionspädagogischen Institute der an ǪUIRU beteiligten Landeskirchen entschlossen haben, gemeinsam mit dem Projekt ǪUIRU und im Anschluss an dessen Ergebnisse eine Praxisveröffentlichung zu erarbeiten und ebenfalls gemeinsam herauszugeben. (4)Für die Ǫualitätsentwicklung kommt der Ausbildung sowie der Fortbildung für den Religionsunterricht eine Schlüsselbedeutung zu. Beide werden nicht nur positiv gesehen, und auch aus der Schüler:innenbefragung erwachsen in dieser Hinsicht weitere Impulse. Soweit die Befunde aus der Schüler:innenbefragung von ǪUIRU Anlass zu gezielten Verbesserungen für den Religionsunterricht geben, verweisen sie nicht nur auf die bereits genannte schwache und zum Teil gar nicht vorauszusetzende Rezeption empirischer Unterrichtsforschung, sondern auch insgesamt auf Fragen zur Ausbildung und Fortbildung für den Religionsunterricht. Wie die entsprechenden Teilprojekte von ǪUIRU zeigen, berichten die dazu befragten Lehrkräfte im Religionsunterricht, die zum Teil ein Lehramtsstudium und zum Teil ein Pfarramtsstudium mit Referendariat oder Vikariat absolviert haben, mitunter durchaus kritisch von ihren darauf bezogenen Erfahrungen. Darüber hinaus werden beispielsweise Anfragen an die Wirksamkeit der gängigsten Fortbildungsformate deutlich: Offenbar weithin übliche Veranstaltungen nur an einem Nachmittag entfalten demnach im Blick auf den Unterricht eine geringere Wirkung als Angebote, die sich auf mehrere Tage erstrecken oder konsekutiv aufgebaut sind. Gerade angesichts komplexer und differenzierter Befunde aus der empirischen Unterrichtsforschung erscheinen solche größeren Formate besonders sinnvoll. (5) Die Ergebnisse von ǪUIRU sollten nicht als
das Ende, sondern als ein (erster) Schritt auf dem Weg der empirischen Forschung zur Ǫualität von Religionsunterricht und zu einer empiriebasierten Ǫualitätsentwicklung und Religionsdidaktik wahrgenommen werden. Empirische Untersuchungen wecken mitunter die Erwartung, dass die Befunde Antworten auf alle aktuell anstehenden Fragen geben könnten. Während es aus Sicht der Wissenschaft durchaus erfreulich ist, wenn Forschungsergebnisse ein weiterreichendes Interesse auslösen, ist doch darauf hinzuweisen, dass bei jeder Untersuchung immer nur ganz bestimmte Forschungsfragen bearbeitet werden können. Insofern ist die Reichweite solcher Untersuchungen notwendig begrenzt und sind weitere Untersuchungen erforderlich, die sich gezielt auf bislang offengebliebene Fragen oder neu identifizierte Fragestellungen beziehen. Nur auf diese Weise kann ein längerfristiger Forschungszusammenhang entstehen, wie er auch für die Religionspädagogik angestrebt werden sollte. (6) Den Kirchen gebührt großer Dank für ihre Bereitschaft, dieses Forschungsprojekt und damit letztlich die Ǫualitätsentwicklung in der Praxis des Religionsunterrichts über Jahre hinweg zu unterstützen. Es wäre wichtig, dass hier eine von den Kirchen weiterhin unterstützte Forschungstradition entsteht, die den Religionsunterricht dauerhaft stärken kann. Ein einzelnes Forschungsprojekt kann auch dann, wenn seine Durchführung mehrere Jahre in Anspruch genommen hat, nur ein Meilenstein sein, bei dessen Erreichen sich der Blick auf den nächsten Meilenstein richtet. Nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Ǫualitätsentwicklung in der Praxis des Religionsunterrichts braucht einen langen Atem und hat noch einen langen Weg vor sich“ (55-57). Der äußerst wichtige Band ist wie folgt aufgebaut: „Teil 1 des Bandes bietet im Anschluss an die Einführung vertiefende Informationen und Perspektiven zu den Ausgangspunkten und Hintergründen der Studie sowie zum Religionsunterricht in der Grundschule und im Gymnasium. Auch das Gesamtprojekt ǪUIRU, in dessen Horizont die in diesem Band dargestellte Schüler:innen-Befragung zu sehen ist, wird mit seinen verschiedenen Teilprojekten beschrieben. Teil 2 dient der Darstellung der empirischen Untersuchung, wobei ausführlich auf die Instrumentenentwicklung eingegangen wird sowie die Befunde aus der Schüler:innenbefragung sowohl auf deskriptiver Ebene als auch als hypothesengeleitete Auswertung dokumentiert werden. Teil 3 nimmt zwei weiterreichende Fragestellungen und Deutungshorizonte auf, die durch das Projekt angesprochen sind. Zum einen werden die Befunde aus der Schüler:innen-Befragung auf die Debatte über religiöse Allgemeinbildung und Religious Literacy bezogen: Diese Befunde bieten dieser Debatte eine neue empirische Grundlage, während sie umgekehrt anhand der in dieser Debatte maßgeblichen normativen Erwartungen bewertet werden können. Zum anderen geht es auch hier um die Frage, was die Validierung eines Untersuchungsinstruments genau bedeutet und in welchem Sinne davon gesprochen werden kann, dass das im Projekt entwickelte Instrument als validiert bezeichnet werden kann. Teil 4 enthält Beiträge aus den Landeskirchen, in denen die Schüler:innenBefragung durchgeführt wurde. Sie bieten wichtige Informationen zum jeweiligen Kontext der Befunde und akzentuieren diese Befunde zugleich hinsichtlich diverser Praxiszusammenhänge. Teil 5 bündelt noch einmal verschiedene Fragen und Perspektiven, die aus der Schüler:innen-Befragung erwachsen. Dabei ist erneut die Frage nach der Ǫualitätsentwicklung in der Praxis von Religionsunterricht leitend. Daneben werden Anforderungen an die weitere religionspädagogische Unterrichtsforschung beschrieben“ (57-58). Die Befunde sind in der Tat sowohl für die Aus- und Fortbildung grundlegend und weiterführend als auch für Religionslehrkräfte in der Praxis!
Im Verlag LUSA (947568-07-9) ist das 15. Jahrbuch für konstruktivistische Religionspädagogik mit dem Titel Religion im Religionsunterricht von Norbert Brieden, Hans Mendl, Oliver Reis und Hanna Roose herausgegeben worden. Sie schreiben unter dem Titel „Wie zeigt sich Religion im Religionsunterricht?“: „Religion begegnet im Religionsunterricht vielgestaltig. Sie changiert zwischen normativen Vorgaben gelehrter institutionalisierter Religion sowie schulisch erwünschten Formen der theologischen Reflexion von dieser Religion und individuellen Adaptionen durch die Schüler/innen, die in Prozessen des Öffnens und Schließens im Unterricht zusammenspielen. Im Vorfeld gingen wir von der Hypothese aus, dass die in Lehrplänen enthaltenen Angebotsstrukturen ein deutlich substanziell-christliches Verständnis von Religion implizieren. Schüler/innen, vermutlich auch Lehrende, bringen demgegenüber eher subjektive alltags- und lebensweltgeprägte Modellierungen von Religion mit. Im Unterschied zu theologischen, aber auch allgemeindidaktischen Modellen, die darauf abzielen, dass Alltagsmodellierungen destruiert und fachliche Modellierungen aufgebaut werden (ein Denkmuster, das wir dem Conceptual-change-Ansatz unterstellen), zielen manche religionspädagogische Modelle eher auf die Transformation von eingebrachten religiösen Vorstellungen. Die Frage nach Religion im Religionsunterricht impliziert eine Doppelbewegung: Religion wird in bestimmter Weise in den Unterricht getragen und verändert sich dadurch. Die im Religionsunterricht erzeugten Formen von Religion wirken wiederum auf außerschulische Formen von Religion zurück. Es geht also darum, religiöse Transformationsprozesse zu beschreiben, die sich in Unterrichtsgesprächen, Schulbüchern, Lehrplänen etc. niederschlagen.
Dieser Band geht der Frage nach „Religion im Religionsunterricht“ facettenreich unter Rückgriff auf unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen (Religionswissenschaft, Religionssoziologie, Ethnologie, Philosophie, Fachdidaktik, Kognitionspsychologie, Praxistheorie) nach: Konzepte von Religion: Wie lässt sich rekonstruktiv beschreiben, was Religion ist? Welche Religionsverständnisse zeigen sich in konzeptionellen Modellen in der Religionspädagogik? Welche Konzepte von Religion zeigen sich in Lehrplänen und Schulbüchern? Welche unausgesprochenen religiösen Überzeugungen liegen ihnen zugrunde? Inwiefern kann das Christentum als eine Ressource auch für Nicht-Christ/inn/en oder nichtreligiöse Menschen beschrieben werden? Wo zeigt sich Religion eher lebensweltlich, wo eher fachlich-konzeptionell? Welche blinden Flecken werden durch die Fokussierung auf bestimmte Konzepte von Religion erzeugt? Religion in der didaktischen Artikulation des Unterrichts: Wie lassen sich religiöse Angebotsstrukturen im Unterricht beschreiben? Was geschieht mit den Angeboten im Prozess des Unterrichts? Wie zeigt sich Religion in den Unterrichtsstrukturen? Was sind unhinterfragte Religionsbegriffe, die im RU zum Vorschein kommen? (Wie) Werden Schüler/innen in eine religiöse oder theologische Fachsprache hineingenommen? Wie wird Fachlichkeit im Religionsunterricht hergestellt? Religiöse Vorstellungen bei Schüler/innen und Lehrkräften: Was ist eine religiöse Vorstellung/ ein religiöses Phänomen? Wie bilden sich religiöse Vorstellungen im Religionsunterricht? Was verändert sich bei Schülerinnen und Schülern im Blick auf ihre religiösen Vorstellungen? Welche Religion entwickelt sich bei Schülerinnen und Schülern, auch bei religionsfreien? Welche Ressourcen entdecken sie? Wie nah an oder fern von konfessioneller Religion sind Schüler/innen-Religionen? Religiöse Praktiken: Wie verläuft Doing religion im Religionsunterricht? Welche Bedeutung haben die Praktiken für die Fachlichkeit des RU? Wie geht der Unterricht mit lebensweltlich, begrifflich oder perfomativ eingebrachten Formen von Religion um?“ (7-8). Der Band enthält folgende
Beiträge: „Norbert Brieden erschließt den transzendentalphilosophischen Ansatz Ulrich Wienbruchs zum bewussten Erleben als hermeneutischen Schlüssel für die Beschreibung von Religion. Die Unterscheidung von vier Beobachtungsperspektiven – alltägliches Sichverhalten, wissenschaftliches Sichbetätigen, ästhetisches Erleben und religiöses Sichvollziehen – kann dazu dienen, besser zu verstehen, wie Religion in Gebrauch genommen wird. Ulrich Kropac untersucht, auf welche Weise die beiden zentralen Begriffe Religion und Religiosität in ausgewählten Standardwerken der Religionspädagogik bearbeitet werden und formuliert Folgerungen für die Bedeutung der Thematisierung und Ausdifferenzierung der beiden Begriffe für die Religionspädagogik in Forschung und Lehre. Arne Moritz fragt nach Religion im Ethikunterricht. Die Beschränkung auf religionskundliches Wissen hält er für problematisch. Am Beispiel kontroverser Diskurse im öffentlichen Raum um religiöse Gebäude verdeutlicht er, wie konkurrierende normative Ansprüche (aus Religion und Gesellschaft) verhandelt werden (sollen). Britta Baumert und Caroline Teschmer analysieren die Dichotomie zwischen einem konfessionell geprägten und einem subjektiven Religionsbegriff und untersuchen vor dem Hintergrund einer Dekonstruktion der klassischen Trias im bekenntnisorientierten Religionsunterricht die einschlägigen kirchlichen Dokumente daraufhin, welche Art von religiöser Positionalität von welchen Akteuren gefordert wird. Tanja Gojny wählt als Gegenstand ihrer Analyse Religionsschulhefte. Sie untersucht die Frage, auf welchen Ebenen hier Religion begegnet und welche Facetten in der Spannung von einer gelehrten institutionalisierten Religion und einer individuellen Adaption von Religion durch die Schüler/innen aufscheinen. Andrea Schulte analysiert ein konkretes Beispiel eines konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in Thüringen. Untersucht werden der theologische und didaktische Umgang mit dem Unterrichtsgegenstand sowie das Unterrichtshandeln der Religionslehrkräfte. Christian Kahrs arbeitet in seinem historisch angelegten Beitrag heraus, dass Religion in der deutschen Verfassungsgeschichte als Instrument der politischen Bildung veranschlagt wurde: Religion sollte dem Staat und der Gesellschaft nützen. Vor dem Hintergrund von Worldview und Citizenship, Religionsfreiheit und Religionspolitik plädiert er dafür, heute Religion als Gegenstand des Religionsunterrichts zu verstehen, der dazu befähigt, verschiedene Deutungsperspektiven von Wirklichkeiten kritisch zu bearbeiten. Sabine Pemsel-Maier untersucht Unterrichtsmaterialien für den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht daraufhin, auf welche Weise Lehrinhalte in den Unterricht eingespielt und wie Konfession(en) und Konfessionalität präsentiert werden. Sie zeigt auf, dass überwiegend konfessionskundliches Material dominiert und inhaltlich vor allem auch lebensweltlich nicht mehr relevante konfessionelle Lehrinhalte und teilweise auch konfessionelle Stereotype im Sinn eines Distinktionswissens dargestellt werden. Annett Abdel-Rahman stellt die verschiedenen bildungstheoretischen Spannungsfelder dar, die sich aus einem stark normativen islamischen Theologieverständnis, den Vorgaben in den Curricula verschiedener Bundesländer für den islamischen Religionsunterricht, der Ausgestaltung exemplarischer Religionsbücher und Studien zur Lehrerprofessionalität ergeben. Rudolf Sitzberger und Hans Mendl skizzieren ein Unterrichtsprojekt, das mit performativen Elementen angereichert ist, dahingehend, welche Zuschreibung auf Religion hin bei den einzelnen Praktiken von den beteiligten Schülerinnen vorgenommen wird. Anika Loose untersucht die Darstellung von religiösem Fundamentalismus in Schulbüchern; Religion wird mit diesem thematischen Zuschnitt fokussiert als etwas Problembehaftetes; genauer betrachtet wird, wie über die Kategorien Definitionen von Fundamentalismus,
Weltentstehung, Bibelauslegung und Religion als Ursache von Konflikten in den Schulbüchern die Themenstellung des Fundamentalismus bearbeitet wird. Oliver Reis und Ingo Kros wenden sich den Unterrichtsstörungen im Religionsunterricht zu und arbeiten an einer Stunde heraus, auf welche Weise Normen der Religion zur Behebung von Unterrichtsstörungen disziplinierend eingesetzt werden. Melina Macanovic und Maike Maria Domsel nehmen das Themenfeld „Bildung durch nachhaltige Entwicklung“ (BNE) in den Blick: Sie untersuchen Unterrichtswerke daraufhin, wie das Thema Nachhaltigkeit bearbeitet wird und auf welche Weise dabei religiöse Perspektiven und Argumente eingebracht werden. Hanna Roose untersucht Anforderungssituationen aus Religionsbüchern und Unterrichtsmaterialien daraufhin, ob und auf welche Weise die Beispiele aus dem außerschulischen, dem schulischen oder dem kirchlich-religiösen Bereich stammen, und nimmt entsprechende Funktionszuschreibungen vor. Juliane Ta Van untersucht sprachliche Bilder und Definitionen von Schüler/inne/n der achten und zehnten Klasse zum Religionsbegriff, kategorisiert die Äußerungen und Sprachbilder und deutet die Unterschiede vor dem Hintergrund des Alters der Lernenden sowie der Herkunftsorte. Der Beitrag mündet in die Diskussion der Bedeutung solcher religionspädagogischen Settings für die Gestaltung des Religionsunterrichts“ (8-10).
In seiner im Verlag transcript (8376-7569-6) erschienenen Augsburger Dissertation Die Rede vom „Religionsstunden-Ich“. Vom Ringen um Authentizität in christlich- religiösen Bildungsprozessen versucht Matthias Werner den Begriff
„Religionsstunden-Ich“ differenziert zu betrachten und ihm auf den Grund zu gehen. Er schreibt dazu in seiner Hinführung: „Zunächst ist festzuhalten, dass es sich dabei immer um einen Einschätzungs- und Bewertungsbegriff handelt, welchen Lehrende im Hinblick auf ihre – potenziellen oder tatsächlichen – Adressatinnen und Adressaten verwenden. Es handelt sich nicht um eine Selbsteinschätzung bzw. Selbstzuschreibung Lernender. Erforscht werden also die Begriffsgenese und -verwendung innerhalb der Fachdisziplin, nicht das dadurch umrissene Phänomen. Anders als bspw. das ‚Über-Ich‘, welches auf Sigmund Freud zurückzuführen und auch ohne eine explizite Namensnennung meist mit diesem verbunden ist, wird für das ‚Religionsstunden-Ich‘ keine eindeutige Urheberschaft tradiert. Es ist nicht mit bestimmten Namen verknüpft. Daher gilt es die Frage zu beantworten, wer diese Bezeichnung in die Fachsprache einbrachte. Eine rein retrospektive, zurückschreitende Beantwortung könnte jedoch zur Fehlannahme führen, es handele sich bei der jeweils beobachteten Okkurrenz des Begriffs um die tatsächliche Erstverwendung. Um dies zu vermeiden, wird prospektiv, also von einem in der Vergangenheit liegenden Startpunkt ausgehend, vorangeschritten. Dieser detaillierte Gang durch die Geschichte der christlichen Religionspädagogik erfolgt zentral aus (eigener) katholischer Perspektive, doch stets in ökumenischer Offenheit. Dabei wird zunächst herausgearbeitet, auf welche Weise die Adressatinnen und Adressaten christlich-religiöser Bildungsprozesse in den Blick genommen und Bildungsbemühungen an diesen orientiert wurden. Schließlich kann erst anhand dieser Basis analysiert werden, wie die Antworten und Rückmeldungen, das Verhalten und die Aktivität der Lernenden durch die Lehrenden eingeschätzt, bewertet und nicht zuletzt bezeichnet wurden. Es wird gezeigt werden können, dass an die Lernenden ergehende, implizite und/oder explizite Authentizitätsforderungen durchaus keine Seltenheit darstellen. In vielen dieser Schriften begegnen zudem Bezeichnungen, die rückblickend als Begriffsvorläufer des ‚Religionsstunden-Ichs‘ verstanden werden können: Auch mit ihnen wurde versucht, eine vermutete Unauthentizität der Lernenden in Worte zu fassen. Namhafte Theologen und Pädagog(inn)en sprechen von einem ‚toten
Buchstabendienst‘, vom ‚Treibhauschristentum‘ oder der ‚Kenntnismaschine‘. Im Gegensatz zum ‚Religionsstunden-Ich‘ konnten sich diese Neologismen und Metaphern jedoch nicht dauerhaft etablieren; heute sind sie verblasst und finden kaum mehr Verwendung. Schließlich lässt sich durch diese intensive Auseinandersetzung eine begründete Vermutung aufstellen, wer den Begriff erstmals in einem publizierten Werk verwendete und damit als Urheber gelten kann. Wie sich im Laufe dieser Ausführungen zeigen wird, ist derzeit davon auszugehen, dass das ‚ReligionsstundenIch‘ auf den evangelischen Pfarrer Julius Schieder zurückzuführen ist und im Jahr 1934 veröffentlicht wurde. Ab diesem Zeitpunkt kann daher die Begriffsgeschichte nachgezeichnet werden. Wie im Kapitel 5.1 gezeigt werden wird, handelt es sich beim ‚Religionsstunden-Ich‘ um ein Schlagwort, das seit nunmehr neunzig Jahren in der religionspädagogischen Literatur – sei es in Standardwerken, Handreichungen oder gar Staatsexamensaufgaben – zu finden ist. Katholischerseits fand es vor allem durch das bereits erwähnte Dokument ‚Der Religionsunterricht in der Schule‘ Verbreitung. Inhaltlich sind die Verwendung des ‚Religionsstunden-Ichs‘ sowie mit ihm verbundene – zum Teil gegenläufige – Interpretationen und Konnotationen zu beleuchten. Dies erfolgt durch linguistische, korpusbasierte Analysen der Sprachgebrauchsmuster. Nach einer Bündelung der tatsächlichen Begriffsverwendung gilt es sodann, Perspektiven der Fortschreibung aufzuzeigen“ (19ff.). Im vorliegenden Forschungsvorhaben wird versucht, durch die Verknüpfung von historischen und (korpus-)linguistischen Analysen nicht nur die Geschichte des Begriffs nachzuzeichnen, sondern auch Einblicke in seine aktuelle Relevanz und zukünftige Perspektiven zu gewinnen, „um auf diese Weise – möglicherweise – das ‚Religionsstunden-Ich‘ neu zu besehen“ (22).
Martina Reiner hat ebenfalls im Verlag transcript (8376-7551-1) ihre Freiburger Dissertation Religiöse Aneignung bei Jugendlichen. Sozialwissenschaftliche Perspektiven veröffentlicht, in der sie nach dem Wissen über vierzehn- bis achtzehnjährige Ministrant:innen unserer Zeit und ihrer Religiosität fragt. Im Vorwort skizziert sie Aufbau und Intention ihrer Untersuchung: „In Kapitel eins zeichne ich den Forschungsstand zu Ministrant:innen nach und stelle Bezüge zu Erhebungen her, die die Partizipation und das ehrenamtliche Engagement von Jugendlichen in der Gesellschaft allgemein zum Gegenstand haben. Auch lege ich dar, was über die religiöse Entwicklung von Jugendlichen gemeinhin bekannt ist und inwiefern sich die Frage nach dem ‚Wie‘ einer religiösen Entwicklung heute neu stellt. Dieses erste Kapitel scheint mir nicht nur für all die Leser:innen interessant zu sein, die in der kirchlichen Jugendarbeit oder allgemein als Bildungsakteur:in im religiösen Feld tätig sind, sondern auch für all jene, die sich die Frage stellen, inwieweit die Forschungsergebnisse möglicherweise als Forschungszugänge für andere (nicht)religiöse Entwicklungsprozesse dienlich sind.
Denn das sind sie meines Erachtens in einer nicht unerheblichen Breite. Eine zweite Komponente meines Forschungsthemas mag auf den ersten Blick als Hürde erscheinen: die Rede von Aneignungsprozessen. Leser:innen, die sich mit der religiösen Entwicklung von Jugendlieben befassen, bewegen sich zumeist in den Begriffsfeldern um Entwicklung, Bildung, Lernen und Sozialisation. Der Aneignungsbegriff ist als wissenschaftlicher Begriff in diesen Kontexten nicht gebräuchlich und seine Verwendung auch keineswegs selbstverständlich. Ich habe ihn gewählt, weil er Veränderungsprozesse, wie beispielsweise Bildungsprozesse, aus einer einseitig subjektzentrierten Modellierung löst. Religiöse Gegenstände, Praktiken und Kommunikation vermitteln religiöse Gehalte und ermöglichen religiöse Erfahrung aus ihrer sozialen Gewordenheit heraus. Sie sind nicht stumm und grenzenlos
bedeutungsoffen. Für den Aneignungsbegriff, den ich meiner Forschung zugrunde lege, ist die Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten durch eine wechselseitige Tätigkeit zwischen Aneignungssubjekt und -objekt ausschlaggebend. Das zweite Kapitel dient der Darstellung und Begründung dieser Bezogenheit von Materialität und Tätigkeit des Menschen, wie sie dem kulturhistorischen Ansatz entspricht. Der Aneignungsbegriff wird hier als Brückenbegriff zwischen Lernen und Bildung im Zwischenraum von Subjekt und Gesellschaft verankert und schließlich auf das Forschungsvorhaben hin ausbuchstabiert. Insofern mag dieses Kapitel für all jene Leser:innen von besonderem Interesse sein, die sich wissenschaftlich mit Lern-, Bildungs-, Entwicklungs- oder allgemein mit Veränderungsprozessen befassen. Und auch die Kapitel drei bis fünf dürften die empirisch forschende Leser:innenschaft besonders interessieren. Einleitend verorte ich meine Forschungspraktik wissenschaftstheoretisch im Feld der Wissenssoziologie und der rekonstruktiven Sozialforschung gemäß der Chicagoer Schule. Es folgt die Vorstellung der, im Feld der (religionsbezogenen) Jugendforschung, bisher noch eher unüblichen Erhebungsmethode der narrativen Biografiekarte, die ich aus der Methodik der Narrativen Landkarten nach Behnken und Zinnecker in meinen Forschungskontext übertrage: Während die vierzehn- bis achtzehnjährigen Ministrant:innen von sich erzählen, fertigen sie Stegreifskizzen an. Sowohl die transkribierten Narrationen als auch die gewonnenen Biografiekarten dienen mir so als Forschungsmaterial. Diese Art der Interviewerhebung ist nicht nur innovativ, sondern erweist sich vor allem dadurch als gewinnbringend, dass die kognitiv kontrollierten Erzählungen um einen performativen Ausdruck ergänzt werden. Beide Ebenen, die Zeichen- und die Erzählebene, können in der Auswertung erst unabhängig voneinander betrachtet und dann triangulierend aufeinander bezogen werden und ermöglichen so valide und tiefschürfende Erkenntnisse. Diese Forschungspraktik und ihre wissenschaftstheoretischen Implikationen werden in Kapitel drei ausführlich vorgestellt und erklärt. In den folgenden Kapiteln führe ich dann im Detail vor, wie die Interviewtexte (Kapitel vier) und die narrativen Biografiekarten (Kapitel fünf) anhand der dokumentarischen Methode nach Bohnsack und Nohl ausgewertet werden. Für die Auswertung der narrativen Landkarten entwickle ich dabei einen Auswertungsansatz neu, indem ich die Auswertungsschritte nach Behnken und Zinnecker mit Auswertungsschritten der Dokumentarischen Methode für Bilder nach Bohnsack den Stegreifskizzen entsprechend synthetisiere. Die Kapitel drei bis fünf können nicht zuletzt aufgrund zusammenfassender Darstellungen als Anleitung für Wissenschaftler:innen dienen, die sich mit der dokumentarischen Methode im Allgemeinen oder mit der Erhebung und Auswertung narrativer Biografiekarten im Speziellen vertraut machen möchten. An diesen recht umfassenden empirischen Teil der Arbeit schließt die Entfaltung der Ergebnisse an. Dabei wird zum einen deutlich, an welche Gehalte, Themen, Praktiken und Erfahrungen religiöse Aneignung gebunden sein kann. Zum anderen zeigt sich, was den Aneignungsprozessen gemein ist. Genauer hin erfordert es ein Vorgehen im Rahmen der Wissenssoziologie, nach Gemeinsamkeiten im atheoretischen Wissen der Jugendlichen zu suchen. Woran orientieren die Jugendlichen ihre Entwicklung und die Erzählung darüber? Worin bestehen konjunktive Orientierungsrahmen? Im Fall der dreizehn Interviews der, wie oben angedeutet, äußerlich recht homogen gefassten Gruppe erschien es mir zeitweise notwendig, den Beweis der leeren Menge anzutreten: Gemeinsamkeiten? Schnittmenge? Erstaunlich, aber: Nein. Da ist die Jugendliche, die sich wundert, dass ihre Eltern bei ihrer Firmung schwarz tragen – ist ja kein Grund zur Trauer, diese Firmung. Aber für die Eltern eben
auch irgendwie kein Grund zur Freude. Da ist der junge Mann, der mit vierzehn anfängt, die Bücher von Papst Benedikt XVI. zu lesen und sich dessen Sprachstil so aneignet, dass er im Interview unverkennbar wirksam ist. Da ist der eine, der sich weniger als Ministrant, denn als Bandmitglied begreift und die eine, die durch ihren Lehrer Diskriminierung erfährt, weil sie aus religiösen Motiven nicht gendern will. Diese Gruppe der dreizehn Ministrant:innen ist nicht homogen – von homogenen Entwicklungsverläufen ganz zu schweigen. Was also eint die Verläufe? Was kann ich über religiöse Aneignung aussagen? Erstens: Religiöse Aneignung ist ein Prozess, der höchst individuell verläuft – auch unter Ministrant:innen. Zweitens: Es gibt Aneignungstätigkeiten, die sich in ihren Funktionen innerhalb des Prozesses ähneln.
Diese Tätigkeiten finden in den Interviews in unterschiedlichen Situationen und an unterschiedlichen Gehalten Erwähnung, aber sie tragen unverkennbar in allen Interviews zur religiösen Aneignung bei. Drittens: Diese Aneignungstätigkeiten fungieren im Gesamtprozess als Parameter: Je nachdem, an welchen Gehalten und wie sie konkret werden, beeinflusst dies den weiteren religiösen Entwicklungsverlauf. Viertens: Diese Parameter sind jeweils nach der Tätigkeit benannt, die sie charakterisiert; der Zahl nach sind es sechs: Linearisierung, Verortung, Verbindung, Unterscheidung, Aushandlung und Entscheidung. Fünftens: Jeder dieser Prozessparameter verknüpft zwei Phasen der Aneignung miteinander und fungiert somit als Orientierungsrahmen innerhalb von ‚Zonen der nächsten Entwicklung‘. Welche Erfahrungen Jugendliche in ihrem Entwicklungsprozess machen und in welchen vielgestaltigen Schemata die Prozessparameter konkret werden, können Sie im Kapitel sechs im Detail nachvollziehen. Wer allerdings weniger an der Frage nach der religiösen Entwicklung im Speziellen interessiert ist, kann auch eine Abkürzung wählen. In Kapitel sieben stelle ich meine Ergebnisse als Faktorenmodell religiöser Aneignung vor. Einordnend gehe ich schließlich in Kapitel acht folgenden drei Fragen nach: Welche Bedeutung kommt institutionellen Räumen der Religionsvermittlung wie Familien, Schulen und Kirchen im religiösen Aneignungsprozess zu? Worin zeigen sich die soziologisch vielfach angeführte Pluralisierung und Individualisierung der Gesellschaft in den Aneignungsbiografien gegenwärtig? Welche Rolle kommt den Aneignungssubjekten im Feld zwischen Autonomie und Zugehörigkeit zu?“ (12-14).
In der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig ist der von David Käbisch, Michael Wermke und Jan Woppowa in der Reihe „Studien zur religiösen Bildung“ herausgegebene Band Ambivalente Beziehungen. Historische Narrative und Bilder von Judentum, Christentum und Islam in Bildungsmedien erschienen. Im Vorwort erklären die Herausgebenden: „Das Bild von Judentum, Christentum und Islam und von ihren wechselseitigen Beziehungen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Insbesondere die historischen Kulturwissenschaften haben unser Wissen über die Vielfalt an religiösen Stimmen und Strömungen sowie die damit einhergehenden Dynamiken in Früher Neuzeit und Moderne erweitert und regional ausdifferenziert. Die komplexen Beziehungen zwischen Judentum, Christentum und Islam und die damit verbundenen Wahrnehmungs-, Kommunikations- und Transferprozesse sind ebenso vielfältig wie ambivalent, da sie häufig die Produktion und Tradierung von Vorurteilen, Stereotypen und Dominanzstrukturen beinhalten. Der vorliegende Band verfolgt das Anliegen, Narrative und Bilder von Judentum, Christentum und Islam in Bildungsmedien und pädagogischen Diskursen zu identifizieren. Besondere Aufmerksamkeit erhalten dabei die dargestellten Beziehungen zwischen verschiedenen Konfessionen und Religionen sowie die damit einhergehenden Prozesse des Verstehens,
des Missverstehens und der Verständigung in Bildungskontexten. Damit wird zugleich thematisches und methodologisches Neuland betreten, weil primär nach den dargestellten Beziehungen zwischen Judentum, Christentum und Islam in Bildungsmedien von der Aufklärung bis zur Gegenwart gefragt wird“ (7). Das Buch hat folgenden Aufbau: „Einleitend werden zunächst theoretische Grundlagen zu Prozessen des Verstehens und des Missverstehens sowie der Verständigung über andere Religionen durch Erzählen und Erklären entfaltet. Die darauf folgenden vier Teile des Buchs beleuchten jeweils spezifische interreligiöse Beziehungsgeflechte: die Wahrnehmung jüdischen Lebens in katholischen und evangelischen Bildungsmedien (Teil 1), Repräsentationen des Islam in der evangelischen Religionspädagogik (Teil 2), Repräsentationen und Modellierungen der Beziehungen zwischen Judentum, Christentum und Islam (Teil 3) und nicht zuletzt der Umgang mit religiösen Themen in nicht religionsgebundenen Bildungsmedien wie Schulbüchern für den Ethikunterricht (Teil 4)“ (7). Zurecht heißt es weiterhin: „Schulbücher für den Geschichts-, Religions- und Ethikunterricht, aber auch andere Bildungsmedien wie Katechismen, Kinderbibeln, Bilder anderer Religionen für Unterrichtszwecke, Erklärfilme zu religiösen Artefakten etc. sind nicht nur als Spiegel des jeweils zeitbedingten Bildes von Judentum, Christentum und Islam und von ihren wechselseitigen Beziehungen zu verstehen. Die Produktion von Bildungsmedien gewährt vielmehr auch weiterführende Einblicke in staatliche und kirchliche Normierungsprozesse und damit einhergehende Erwartungen an Lehrende und Lernende sowie nicht zuletzt an die Praxis des Unterrichtens. Im Blick auf die in diesem Band versammelten Aufsätze können daher vier wesentliche Erkenntnisse bündelnd ins Feld geführt werden: Bildungsmedien sind immer in ihren strukturellen Bedingungsgefügen wahrzunehmen, zu verstehen und nicht zuletzt in diesem Bewusstsein auch kritisch zu analysieren. Daher ist zu vermeiden, sie nur als wissensbasierte Endprodukte zu sehen. Vielmehr spiegeln sich in ihnen vielfältige Prozesse wider: vorherrschende Narrative während des Prozesses ihrer Entstehung, implizit enthaltene Haltungen und Einstellungen ihrer Urheber:innen, das Ergebnis institutioneller Prüfungen auf der Grundlage normativer Vorgaben und Erwartungen u. a. Bildungsmedien, insbesondere Schulbücher für den Fachunterricht, sind Spiegelbilder des Unterrichts, genauer: bestimmter Unterrichtsmodelle ihrer Zeit und daher notwendig historisch zu betrachten und zu analysieren. Beispielsweise lässt sich das an Längsschnittstudien zu lange Zeit bestehenden und etablierten Schulbüchern und dort zu beobachtenden Akzentverschiebungen von sachkundlicher zu kompetenzbezogener Orientierung zeigen. Im Blick auf den Entstehungsprozess von Bildungsmedien, der im Falle von zulassungspflichtigen Schulbüchern vielen (mitunter stark einschränkenden) Parametern unterliegt, lässt sich gleichsam als Subtext aller Beiträge die Frage stellen, wie eine sinnvolle Reduktion von Inhalten kriteriengeleitet stattfinden kann. Das ist im Letzten zwar eine didaktische Frage, aber nicht nur, denn sie adressiert auch die Autor:innen von Schulbüchern direkt. Deren subjektive Standpunkte, hermeneutische Vorannahmen und Einstellungen machen die Perspektiven des Endprodukts plausibel und implizieren die Notwendigkeit, solche akteursbezogenen Perspektiven auch transparent zu machen. Bildungsmedien entfalten ihre Wirksamkeit nur in der Performanz von Bildungs- und Lehr-Lern-Prozessen. Die Analyse und Interpretation von Schulbüchern braucht daher zunehmend auch den ethnographischen Blick in die Unterrichtspraxis. Erst dieser kann offenlegen, wie alle beteiligten Akteur:innen mit Schulbüchern arbeiten, ob das Medium im Sinne praxeologischer Zugänge selbst zum
Akteur wird oder welche Praktiken durch bestimmte Bildungsmedien evoziert werden“ (8-9).
Natascha Leins, Monique Schmolzi, Wilhelm Schwendemann und Katrin Hagen haben im LIT-Verlag (643-15597-9) den Band Gottesbilder von Grundschulkindern. Gott der Kinder – Band 3. Eine empirische Untersuchung der Gottesvorstellungen und Kommunikationsweisen von Lernenden im Grundschulalter am Beispiel einer
dass im Mathematikunterricht die Verwendung des Zirkels gelernt wurde und viele Lernende diesen ausprobieren wollten. Durch die Darstellung der ganzen Welt wird die Gesamtheit der Schöpfung deutlich; nicht ein bestimmtes Detail ist wichtig, wie Menschen oder Natur, sondern im Allgemeinen die Tatsache, dass Leben existieren kann. Damit verbunden sind auch die Darstellungen anderer Planeten sowie Sonne, Mond und Sterne. Und ebenso, dass Gott der Schöpfer der Welt ist. Dies wird mehrheitlich dadurch deutlich, dass Gott ebenfalls abgebildet ist und sich in einer Beziehung zur Weltkugel befindet. Des Weiteren kommen Symbole wie das Herz oder das Kreuz vor, die für Eigenschaften Gottes beziehungsweise Taten Gottes stehen.
Weitere genannte Charaktereigenschaften sind zum Beispiel Großzügigkeit und seine Rolle als Vorbild. Gott als Person wird häufig im Himmel verortet und als Bewacher oder Beschützer identifiziert, der alles kann. Dies wird bestärkt durch seine Größe und Heiligkeit, die oftmals durch die Farbe Gold dargestellt ist. Bemerkenswert ist hier auch der Gedanke einer Schülerin, die Gott als Geist wahrnimmt, da er nicht genau zu definieren ist. Hier besteht auch ein enger Bezug zu Engeln, da Gott teilweise als solcher dargestellt ist. Auch wird eine Verbindung zwischen Tieren und Gott deutlich, so wird Gott beispielsweise mit einem Löwen gleichgesetzt, während in einem anderen Bild die Möglichkeit beschrieben wird, dass Gott jedes Tier sein kann. Auch hier wird die enge Verbindung zur Schöpfung deutlich und ebenso, dass Gott sich möglicherweise in einer Beziehung zu jedem Lebewesen befindet“ (194-195).
Maria Elisabeth Aigner thematisiert in ihrem im Verlag W. Kohlhammer (17-039662-3)
veröffentlichten Buch Bibliolog. Impulse für Gottesdienst, Gemeinde und Schule. Band 4: Handlungsfeld Seelsorge den Bibliolog im Kontext von Seelsorge und Beratung: „Ich setze mich mit diesem Thema als katholische Pastoraltheologin und Pastoralpsychologin auseinander. Das bedeutet auch, dass ich mich einer Sprache bediene, die meiner theologischen Herkunft und Konfession entspricht. ‚Seelsorge‘ wird demnach weiter gefasst und meint nicht nur die ‚Individualseelsorge‘; mit ‚pastoral‘ werden ausgehend vom II. Vatikanischen Konzil jene Handlungsweisen bezeichnet, bei denen es zu einer kreativen Konfrontation zwischen Existenz und Tradition kommt; unter
‚seelsorglicher Beratung‘ verstehe ich jene professionelle Beratungstätigkeit, die auch pastoral psychologische Kenntnisse mit einfließen lässt. Es ist mir ein Anliegen, den Bibliolog ins Zentrum zu stellen und zu reflektieren, welche Phänomene bibliologischer Arbeit Auswirkungen auf die seelsorgliche Praxis haben können. Ich versuche, diese Phänomene vor dem Hintergrund der Bibliolog-Bewegung tiefenhermeneutisch zu beschreiben und einzuordnen und gehe dabei in erster Linie erfahrungs- und praxisorientiert vor. Das, was sich in der bibliologischen Praxis an Äußerungen in Worten sowie in Ausdruck und Verhalten zeigt, soll in seinem Sinn und seiner Bedeutung für größere Handlungszusammenhänge erschlossen werden. Immer wieder werden dabei auch Bezüge zum Bibliodrama im deutschsprachigen Raum hergestellt (9-10). Zum Aufbau schreibt die Autorin: „Ganz zu Beginn wird versucht, zu eruieren, was die Attraktivität der Bewegung ausmacht und welche Gründe es für das nachhaltige Interesse an diesem einzigartigen Zugang gibt. Ein weiterer Schritt beschreibt den spannungsreichen Zusammenhang von Individualität und Gemeinschaftlichkeit im Bibliolog und geht der Frage nach, welche Rolle dabei die Archive der Tradition spielen. Inwiefern trotz der Wortlastigkeit dennoch auch dem Körper eine bedeutende Rolle zukommt und wie sich der Zusammenhang von Embodiement und Spiritualität im Bibliolog beschreiben lässt, ist Teil des darauffolgenden Kapitels. Schließlich wird die Aufmerksamkeit auf jenes Potenzial gelenkt, das die bibliologische Arbeit für Seelsorge
und Beratung bereithält. Durch die Inszenierung biblischer Geschichten können pastoral care and Counseling-Prozesse eine besondere Ǫualität erfahren. Zuletzt werfe ich einen Blick auf das interkulturelle Potenzial, das dem Bibliolog innewohnt, und beschreibe meine eigenen ersten Lernerfahrungen mit cross-cultural trainings in Tansania. Das letzte Wort im Buch haben in einem ‚Epilog‘ erneut diejenigen, die bei dieser Form von kreativer biblischer Auslegung selbst zentrale, für sich und ihr Leben wichtige Erfahrungen gemacht haben. In diesen biografischen Narrationen kommt jene Expertise zum Ausdruck, die von Beginn an prägend für die Szene ist“ (10).
Im Claudius-Verlag (532-72501-6) ist in der neuen Reihe „Bildungswelten“ des RPZ Heilsbronn der von Patrick Grasser zusammengestellte Sammelband Demokratiebildung erschienen, in dessen Einleitung es unter anderem heißt: „Es ist die verantwortungsvolle Aufgabe evangelischer Bildungsarbeit, theologische und ethische Prinzipien erfahrbar zu machen. Dies bedeutet auch, dass es zur evangelischen
Bildungsverantwortung gehört, die Arbeit an Kompetenzen zu eröffnen, die es ihren Adressatinnen und Adressaten ermöglicht, sich ‚in öffentlichen Diskursen um das Gemeinwohl zu engagieren und auskunftsfähig im Blick auf die eigene Weltdeutung und Lebensführung zu sein‘. Mit unserem Sammelband möchten wir einen Beitrag dazu leisten, evangelische Bildungsverantwortung in der Gesellschaft und für die Demokratie wahrzunehmen. In den Grundlagenartikeln des ersten Teils werden theologische, religionspädagogische und gesellschaftspolitische Hintergründe und unterschiedliche Bildungskontexte beleuchtet. Im zweiten Teil des Bandes stehen Praxiserfahrungen aus unterschiedlichen Bildungskontexten und Anregungen für die evangelische Bildungsarbeit im Mittelpunkt. Der dritte Teil lässt eine der renommiertesten Politikwissenschaftlerinnen der Gegenwart zu Wort kommen. Im Interview geht Ursula Münch auf die Dynamik demokratischer Systeme ein. Im vierten Teil finden sich schließlich weiterführende Materialtipps, Medienempfehlungen, Literaturhinweise und Rezensionen zum Thema Demokratiebildung“ (15).
Agnethe Siquans und Sigrid Eder haben im Verlag Katholisches Bibelwerk (460-25266-0) das sehr lesenswerte Buch Ist die Bibel frauenfeindlich? Biblische Frauenbilder und was wirklich dahintersteckt herausgegeben. In ihrer präzisen Einführung informieren sie zunächst über verschiedene Perspektiven auf die Bibel: „Die Beantwortung der Frage, ob die Bibel frauenfeindlich ist, hängt davon ab, welche Texte und Themen der Bibel unter welchen Perspektiven in den Blick genommen werden. Sie kann daher nicht global mit ja oder nein beantwortet werden, sondern ist differenziert zu betrachten. Seit mehr als 50 Jahren gehen Bibelwissenschaftler*innen der Frage nach, wie Menschen in der Bibel in ihrer Geschlechtlichkeit und in ihrer Beziehung zur Gottheit dargestellt werden. Sie untersuchen, wie die biblischen Texte Frauen und Männer, Weiblichkeit und Männlichkeit und alles, was zwischen diesen beiden Polen ist und darüber hinausgeht, beschreiben. Dabei befassen sie sich auch mit den Auswirkungen, welche diese Konstruktionen von Geschlechtszugehörigkeiten und Geschlechterrollen haben. So hat der Forschungsbereich der biblischen Gender-Forschung verschiedene Ansätze und
‚Lesebrillen‘ entwickelt, die das Anliegen der Geschlechtergerechtigkeit und der gender- fairen Auslegung vertreten und deren Vielfalt an Zugängen und Themen in diesem Band zur Darstellung kommt. Die biblische Gender-Forschung ergänzt und entwickelt die Feministische Exegese weiter, aus welcher heraus sie entstanden ist. Gender dient dabei als Oberbegriff für unterschiedliche geschlechterbewusste bzw. geschlechtersensible sowie gender-gerechte Zugänge. Zudem entstanden die biblische Männlichkeitsforschung, intersektionale und postkoloniale Ansätze sowie die queere Exegese“ (13). Sodann stellen die Herausgeberinnen ausgewählte inhaltliche Schwerpunkte und Perspektiven der genannten Forschungsrichtungen dar: „Frauen im Fokus. Feministische Exegese zeigte zunächst auf, dass Frauen in den biblischen Texten sehr wohl in den Blick kommen und macht damit Frauenfiguren (wieder) sichtbar, die vielfach von der männlich dominierten Auslegungspraxis übersehen wurden. Ihr Ziel ist Geschlechtergerechtigkeit. Weiters wurden weibliche Züge im Gottesbild neu entdeckt, die im Zuge der Entwicklung des Monotheismus – also des Glaubens an den einen und einzigen Gott – und in der Auslegungsgeschichte verlorengegangen sind, und man fragte danach, ob es in der Welt und Umwelt der Bibel Göttinnen gab. Feministische Exegetinnen erforschten die Lebensbedingungen und Möglichkeiten von Frauen im Alten Israel und zur Zeit des Neuen Testaments und verwiesen auf die patriarchale
Gesellschaftsform, die (nicht nur) Frauen benachteiligt. In der Analyse und Konstruktion von Geschlechtszugehörigkeit in biblischen Texten gingen Bibelwissenschafterinnen der Frage nach, ob auch Frauen unter den Autor*innen der 73 Bücher der Bibel zu finden sind. Da sich die Rekonstruktion weiblicher Autorschaft als schwierig gestaltete, begann man, nach Material in biblischen Texten zu suchen, das Frauen und ihr Anliegen in einer positiven und informierten Weise darstellt und erforschte Frauen- und Männerstimmen im Text (M/F-voice), die jeweils Frauen- bzw. Männererfahrungen beschreiben.
Geschlechterkonstruktionen aufdecken und Machtverhältnisse entlarven – der Kanon als Grenze. Biblische Genderforschung geht auch un-heilen Frauenwelten in der Bibel nach, indem sie jene Texte analysiert, die von Frauenfeindlichkeit, Unterdrückung und Gewalt gegen Frauen erzählen. Sie bietet Möglichkeiten an, die Texte einzuordnen und deckt gesellschaftlich wie individuell wirkende Unterdrückungsmechanismen gegenüber Frauen auf. Biblische Genderforschung ermöglicht alternative Denk- und Handlungskonzepte für heutige Lesende, dies vor allem auch in der Erforschung und Nachzeichnung von Macht- und Gewaltverhältnissen sowie Rollenzuschreibungen und der Aufdeckung von Rollenfestschreibungen von männlichen und weiblichen Erzählfiguren im Text. Biblische Genderforschung weist zusätzlich auf das Machtphänomen innerhalb des Entstehungsprozesses der Bibel hin. Die Entstehung der Bibel als Sammlung von heiligen Texten, die für eine Glaubensgemeinschaft als Norm gilt, entstand in einem patriarchalen Umfeld. Das Verfassen der Texte und die Zusammenstellung zu einer Heiligen Schrift, dem sogenannten Kanon, ist ein Begrenzungsprozess, der mit Macht zu tun hat. Feministische Exegese hinterfragt und öffnet Kanongrenzen und legt auch jene Schriften aus, die keinen Eingang in die Bibel gefunden haben, wie z. B. das Testament Hiobs oder das Evangelium nach Maria (vgl. dazu das Kompendium Feministische Bibelauslegung). Als kanonische Texte gelten selbstverständlich auch die hebräische Bibel des Judentums und der Koran im Islam.
Wenn von ‚christlich-feministischer‘ Bibelauslegung die Rede ist, macht dies darauf aufmerksam, dass es auch jüdisch-feministische Revisionen der hebräischen Bibel gibt. Weiters gibt es im Islam Forschende, die gerade dabei sind, eine Neubewertung des Koran und seiner Auslegungsgeschichte unter Frauenperspektive zu etablieren.
Lesebrillen für die Bibel. Feministische Exegese entwickelte unterschiedliche Umgangs- und Leseweisen, wie mit biblischen Texten, die massive Gewalt an Frauen und offensichtliche Frauenfeindlichkeit thematisieren, umgegangen werden kann. So können Lesende gegenüber dem Text zunächst einmal kritisch sein. Also sind nicht immer Anerkennung und Zustimmung die ersten Haltungen in Bezug auf den Bibeltext. Im Rahmen der sogenannten Hermeneutik des Verdachts gilt es, an alle Texte, Inhalte und Stimmen im Text auch Fragen zu stellen. Kritische Lesende bleiben auch der oft dominanten Stimme gegenüber skeptisch und reproduzieren deren Ideologie nicht sofort. In einem weiteren Schritt rückt der Prozess des gemeinsamen Auslegens ins Zentrum. So verlegt beispielsweise Ilse Müllner das Kriterium der Frauenbefreiung weg von der Unterscheidung zwischen frauenbefreienden und frauenunterdrückenden Texten hin zum Prozess des gemeinschaftlichen Lesens und Auslegens, d.h. zur Frage, wie Texte in der gemeinsamen Lektüre befreiend gelesen werden können. Lesen im Kontext. Jede*r liest die Bibel anders. Daher nimmt biblische Genderforschung unterschiedliche soziokulturelle Ausgangspunkte von Frauen und deren Auslegungstraditionen aus unterschiedlichen Kontinenten und Kulturen ernst, die sich auch im Laufe der Zeit wandeln. Geschlechterbewusste Bibelauslegung in Lateinamerika sieht anders aus als in Asien, Afrika, den U.S.A. oder in Europa. Zudem
sind lokale Interpretationsgemeinschaften zentral. Es gilt, den jeweiligen Erfahrungshintergrund z. B. von Frauen aus Südafrika, Afghanistan oder Peru ernst zu nehmen und den je eigenen kulturellen Horizont transparent zu machen und nicht allein von der Erfahrung weißer mitteleuropäischer Frauen der Mittelschicht auszugehen. So sind Frauen weltweit mannigfachen Formen von Unterdrückung ausgesetzt. Das gemeinsame Ziel und damit auch die politische Option feministischer Zugänge ist die Befreiung von Frauen aus je unterschiedlichen Unterdrückungsmechanismen. Die dominante Perspektive und ‚die Anderen‘. Die biblischen Texte lassen ganz klar eine bestimmte gruppenbezogene Perspektive erkennen: Für das Alte Testament ist die israelitische bzw. judäische Sichtweise dominant, für das Neue Testament ist es die Perspektive der ersten Gemeinden, die Jesus als Christus, als Messias anerkannten.
Vielen alttestamentlichen Texten geht es darum, die eigene Identität Israels/Judas bzw. des frühen Judentums gegenüber den anderen Völkern zu bewahren und zu behaupten. Andere Völker und deren Angehörige wurden als mögliche Gefahr für die alleinige Verehrung des Gottes Israels wahrgenommen. Daher versuchte man, sich von ihnen abzugrenzen. Die Königin Isebel, eine tyrische Prinzessin, wird beispielsweise als Urheberin der Fremdgötterverehrung ihrer Zeit verurteilt (1Kön 18). Im Neuen Testament lassen sich ähnliche Identitätsdiskurse über Abgrenzungen beobachten: einerseits von den anderen jüdischen Gruppen, die Jesus nicht als Messias annehmen und von denen es eine zunehmende Entfremdung gab, andererseits von nichtjüdischen Gruppen, die andere Gottheiten verehrten. So entsteht ein ausgeprägter Diskurs, der zwischen der eigenen Gruppe (in-group) und ‚den Anderen‘ (out-group) unterscheidet. Die ‚Anderen‘, wer immer sie sind, werden kollektiv marginalisiert und ausgegrenzt, ja mitunter als Un- oder Irrgläubige verteufelt. Man spricht auch von ‚Othering‘. Eine postkoloniale Bibelauslegung hat u.a. das Ziel, solche Ausgrenzungs- und Unterdrückungsmechanismen sichtbar zu machen und Alternativen aufzuzeigen.
Postkoloniale Ansätze nehmen die Kategorie ‚Geschlecht‘ auf und analysieren die Geschlechterfragen intersektionell, das heißt in ihren Überkreuzungen und Wechselwirkungen von weiteren Kategorien wie ethnische Herkunft, Hautfarbe, Alter, aber auch sexuelle Vorlieben, ökonomische Verhältnisse, gesundheitliche Einschränkungen etc. Ǫueer. Gen 1,27 spricht von der Erschaffung der Menschen als
‚männlich und weiblich‘. Dieser Text reflektiert den kulturellen Horizont eines bipolaren Geschlechterverhältnisses. Heute gibt es Menschen, die sich nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen oder deren sexuelle Orientierung über das übliche heterosexuelle Schema hinausgeht. Diese Menschen gab es auch damals, sie kommen in den biblischen Texten aber kaum je zur Sprache. Ǫueere Exegese rückt die heutigen Lebenswelten von Schwulen, Lesben und Transgender- Menschen ins Zentrum sowie bestimmte Themenbereiche der Bibel wie Homosexualität, homoerotische Beziehungen zwischen Männern, lesbische Beziehungen zwischen Frauen wie auch das Aufbrechen von einseitigen geschlechtlichen Zuschreibungen im Gottesbild. Weiters bedeutet queere Bibelauslegung auch, dass homosexuelle und transsexuelle Menschen ihre je eigene Textauslegung darlegen, wie sie aus ihren queeren Perspektiven bestimmte Bibelstellen lesen. Solche Zugänge lenken den Blick auf Aspekte von Gender, die in den biblischen Texten nicht offensichtlich sind und bisher wenig beachtet wurden. In der Auslegung von Gen 1,27 wird z.B. darauf hingewiesen, dass ‚männlich und weiblich‘ im Sinne eines Merismus zwei Pole bezeichnen, die als Teile für das gesamte dazwischen liegende Spektrum stehen und alles zwischen männlich und weiblich mit umfassen“ (14ff.). Die
vorzügliche Einführung schließt mit folgenden Überlegungen: „Die in einer patriarchalen Umwelt entstandene heilige Schrift, die in erster Linie aus männlicher Perspektive spricht und aus dieser heraus und für diese geschrieben ist, erzählt dennoch, direkt oder indirekt viel über Frauen und ihre Lebenswelt zur Zeit der Entstehung der Texte. Die Bibel kann mit ganz unterschiedlichen ‚Brillen‘ und Verstehenshorizonten gelesen werden und dabei Verschwiegenes, Übersehenes und in Vergessenheit Geratenes ans Licht bringen. Feministische Bibelauslegung stellt Frauen und deren Lebenswelten sowie weibliche Dimensionen ins Zentrum ihrer Betrachtung. Biblische Genderforschung analysiert das Zu-, Mit- und Gegeneinander von Frauen und Männern und lenkt darüber hinaus den Blick auf das Gesamt der Geschlechtervielfalt in unterschiedlichen religiösen und kulturellen Kontexten. Die Ergebnisse zeugen von der Bedeutsamkeit von Frauen und weiblichen Lebenswelten in biblischen Zeiten und zeigen weitere Aspekte auf, die – über die Analyse von Geschlechterverhältnissen hinausgehend – befreiende, der Geschlechtervielfalt Raum gebende Horizonte eröffnen“ (19-20.). Den 32 Autorinnen und Autoren ist ein reichhaltiger Strauß von vielfältigen spannenden Lebensentwürfen biblischer Frauengestalten bis hin zu den weiblichen Aspekten im Gottesbild gelungen!
Einer einzelnen weiblichen Figur widmet sich Kay Weißflog in seinem in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig (374-07517-1) in der Reihe „Biblische Gestalten“ erschienenen Buch Ester. Eine jüdische Königin rettet ihr Volk. Schon im Vorwort spricht der Verfasser den Kontext dieses biblischen Buches zum Purimfest an: „Vor dem Hintergrund einer geradezu märchenhaften orientalischen Kulisse erzählt es, wie das jüdische Volk im persischen Weltreich aus dem Nichts heraus in existenzielle Gefahr gerät. Judenfeindlichkeit und Antisemitismus reichen erschreckend weit in die Geschichte zurück. Der von Haman, dem Vizekönig, geplante Genozid kann jedoch abgewendet werden, und die Juden verteidigen sich erfolgreich gegen die Angreifer.
Ester ist der Inbegriff für die Rettung der zu Unrecht verfolgten und bedrohten jüdischen Minderheit. Der vorliegende Band in der Reihe Biblische Gestalten versteht sich als Einführung in das Buch Ester und seine Wirkungsgeschichte. Wer sich näher damit beschäftigt, stößt auf eine Vielzahl an interessanten Details, auf die hier nicht in aller Ausführlichkeit eingegangen werden kann. Viele Fragen zu Herkunft und Entstehung des Ester-Buches sind nach wie vor unbeantwortet. Insbesondere das Vorhandensein mehrerer unterschiedlicher Fassungen gibt noch immer Rätsel auf. Im Judentum spielt diese biblische Schrift bis heute eine herausragende Rolle. Aber auch in der christlichen Tradition ist sie keineswegs nur auf Ablehnung und Kritik gestoßen, auch wenn es hier zeitweise große Vorbehalte gab. Was ihre Bekanntheit über religiöse jüdische Kreise hinaus angeht, herrscht gleichwohl noch erheblicher Nachholbedarf“ (7). Gleich im ersten Kapitel seiner Einführung stellt der Autor die Frage „Ester – Eine vergessene oder verdrängte biblische Figur?“: Wer den Namen Ester hört oder liest, denkt höchstwahrscheinlich nicht zuerst an die jüdische Frau, die in dem nach ihr benannten Buch in der Bibel die Hauptrolle spielt. Obwohl sich ihr Name einiger Beliebtheit erfreut und manche durchaus prominente Persönlichkeit so heißt, hat das Buch außerhalb der wissenschaftlichen Beschäftigung damit und über den religiösen jüdischen Kontext hinaus gegenwärtig so gut wie keine Bedeutung. Die drohende Auslöschung des jüdischen Volkes und seine Rettung, die es thematisiert, scheinen ein zu spezielles und auch heikles Thema zu sein. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass jüdischen Frauen, Männern und Kindern – dem jüdischen Volk insgesamt – tatsächlich das Existenzrecht abgesprochen wurde. Nicht vor mehr als zwei Jahrtausenden im fernen
persischen Weltreich, wo man so etwas später für möglich hielt, sondern erst vor ein paar Jahrzehnten und hier bei uns. Im Buch Ester werden die Vernichtungspläne aufgedeckt und vereitelt. Die Betroffenen dürfen und können sich erfolgreich zur Wehr setzen. Für die sechs Millionen von den Nationalsozialisten ermordeten Juden dagegen gab es keine Hilfe. Belasten die Schoa und das Wissen um die Schuld bewusst oder unbewusst die Lektüre des Buches Ester? Ist das Thema nach wie vor ein ‚heißes Eisen‘? Muss befürchtet werden, dass seine unreflektierte Lektüre antisemitische Ressentiments fördert, wenn es den Judenfeind Haman einschlägige Behauptungen aussprechen lässt (Est 3,8) und beschreibt, wie am Ende Juden ihre Gegner umbringen (vgl. Est 9)? Oder ist das Buch Ester deshalb aus dem Blickfeld geraten, weil es an keiner Stelle explizit von Gott spricht und es in ihm scheinbar sehr ‚weltlich‘ zugeht? Im Judentum spielt Ester dagegen eine weitaus größere und bedeutendere Rolle. Das hängt nicht zuletzt mit dem Fest ‚Purim‘ zusammen, das schon relativ früh zum jüdischen Kalender gehört und jährlich am 14./15. Adar (Februar/März) begangen wird. Es weist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Karneval in der christlichen Tradition auf, ist aber viel älter und hat einen vollkommen anderen Hintergrund. Aufgrund der im Lauf der Geschichte immer wieder bedrohten Existenz jüdischen Lebens ist die Rettung, die das Buch Ester und das Purimfest thematisieren, im Judentum bis heute von ungebrochener Relevanz“ (13-14).
Nancy Janz, Birgitt Neukirch, Christine Poppe, Irmela Redhead und Michael Jahnke haben als Mitglieder der Steuerungsgruppe Einfach Bibel in der Deutschen Bibelgesellschaft (438-03975-0) den 400-seitigen Band Einfach BIBEL! 180 Seiten ausgewählte Texte erarbeitet. Unter der Überschrift „Verständlich + Bibel = Einfach Bibel“ erklären sie das Konzept: „Biblische Texte sind aus verschiedenen Gründen oft schwer zu verstehen. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, für alle Jugendlichen eine altersgemäße, leichter verständliche Bibel anzubieten und ihnen somit Zugänge zur Botschaft der Bibel zu ermöglichen. Die Einfach Bibel enthält eine Auswahl an Bibeltexten, die den Bedarf in der religionspädagogischen Arbeit abdeckt. Um bestmögliche Verständlichkeit für heterogen zusammengesetzte Gruppen von Leserinnen und Lesern zu erreichen, bietet die Einfach Bibel biblische Texte auf unterschiedlichen sprachlichen Niveaus an. Die Einfach Bibel erreicht durch verschiedene Maßnahmen einen weitestgehend barrierefreien Lesezugang, zum Beispiel durch die Verwendung der Schrifttype Grace, die für Menschen mit Leseschwierigkeiten entwickelt wurde. Um eine möglichst einfache Orientierung zu ermöglichen, sind die Seiten der Einfach Bibel übersichtlich gestaltet und mit wenigen, deutlichen Orientierungshilfen versehen. Die Texte in der Druckfassung sind auch als Audiofassung zugänglich. Den Bibeltexten BasisBibel, Einsteigerbibel, Die Bibel elementar und manchmal auch den anderen Bibeltexten sind Begriffserklärungen zugeordnet. Es werden die Begriffe in den biblischen Texten erklärt, die laut Wörterbuch Pusteblume nicht zum Lesewortschatz gehören und die für das Verständnis der Kernaussage des biblischen Textes notwendig sind. Die Überschriften der einzelnen biblischen Texte sind eigens für die Einfach Bibel erstellt und stimmen daher nicht mit den originalen Überschriften überein“ (6-7). Zum Thema Heilung heißt es: „Als Steuerungsgruppe schließen wir uns jenen Stimmen aus der inklusiven Theologie an, in der Heilung bedeutet, Menschen in ihrer Ganzheit zu stärken, körperlich, seelisch und sozial. Es geht nicht um die Polarität von gesund und krank, sondern darum, die Würde und das Wohl aller Menschen zu fördern, unabhängig von ihren Unterschieden“ (7). Die Einfach Bibel ist eine Bibel für alle Menschen: „In der Einfach Bibel sind nicht viele Texte.
In der Einfach Bibel sind alle wichtigen Texte für junge Menschen. In der Einfach Bibel gibt es Bilder für junge Menschen. In der Einfach Bibel gibt es auch die Möglichkeit, sich Geschichten vorlesen zu lassen. Und in der Einfach Bibel gibt es für schwierige Wörter leichte Erklärungen.
Die Einfach Bibel ist ein gutes Buch. Die Einfach Bibel kann von vielen Menschen gelesen werden“ (9).
In der Neukirchener Verlagsgesellschaft (7615-6988-7) ist in Koproduktion mit der Deutschen Bibelgesellschaft (438-03980-4) von Konstanze Ebel, Claudia Filker, Hanna Schott und Almut Schweitzer-Herbold die Talk-Box Vol. 21 Bibel mit 120 Impulsen für Gespräche über den Weltbestseller erstellt worden. Die 120 Fragekarten sind durch Farben und Symbole in 13 Kategorien geordnet: Beziehungsstatus Bibel und ich – Bibelverse und ihre Folgen – Das sagt mir was – Haben wir da etwas missverstanden? – Heilige Schrift? – Hoffnungsverse – Kulturspur – Perspektivwechsel – Schaffen wir das? – Schwer zu glauben? – Steht das in der Bibel oder wo habe ich das her? – Tierisches – Was wäre, wenn …? – Will ich das? Die Verfasserinnen schlagen sechs verschiedene Spielideen vor: Greif einfach rein! – Wir möchten uns besser kennenlernen – Das interessiert uns besonders …– Wie gut kennen wir uns? – Klein in Groß – Alles anonym.
Die anregenden Fragen der Talk-Box Bibel eröffnen spielerisch neue und voraussetzungslose Zugänge zur Bibel. Dieses Ziel verfolgen auch Esther Göbel und Helmut Jansen mit ihrem im echter Verlag (429-06746-5) veröffentlichten Buch Die Bibel in Sketchnotes. Die Sonntagsevangelien auf den Punkt und aufs Papier gebracht. Lesejahr C, das den Abschluss ihres Youtube-Projektes „Sketch-Bibel“ darstellt. Den Texten und Zeichnungen gelingt es hervorragend, zum Nach- und Selberdenken zu animieren, verschiedene Perspektiven gelten zu lassen und nicht zuletzt Hoffnung zu geben, dass Gut-Sein Sinn ergibt!
Für Kinder ab zwei Jahren ermöglicht die in der Deutschen Bibelgesellschaft (438- 04778-6) veröffentlichte Die erste große Kinderbibel mit kurzen, klar verständlichen Textimpulsen und farbenfrohen Bildern von Antonia Woodward auf 44 robusten Pappkartonseiten einen sehr einladenden Zugang zu 20 biblischen Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament. Gute Nachricht. Geschichten von Jesus für Kinder fair erzählt lautet der Titel des von Nina Kölsch-Bunzen mit Ariane Dihle und Katharina von Kellenbach im jüdisch-christlichen Dialog verfassten Buches mit detailreichen Illustrationen von Marion Goedelt für Kinder ab sechs Jahren, das im Ariella Verlag (945530-51-1) erschienen ist. Diese Kinderbibel ist ein Meilenstein und möchte die Gute Botschaft frei von antijüdischen Anklängen und anderen Formen der Diskriminierung vermitteln. Sie enthält ein lesenswertes Nachwort für Erwachsene mit Überlegungen zu Fairness und Grundregeln bei der Texterstellung und zu antisemitismuskritischer Bildung sowie ein Bibelstellenregister und Hinweise zur symbolischen Bedeutung der Bilder. In der Neukirchener Verlagsgesellschaft (7615-6903-0) hat Andrea Karimé mit Illustrationen von Anna Lisicki-Hehn die Alle-Kinder-Bibel 2 mit 28 weiteren Geschichten aus der Bibel geschrieben – rassismus- und vielfaltssensibel, lebendig und altersgerecht erzählt für Kinder ab Grundschulalter. Das Buch enthält zudem ein Nachwort für erwachsene (Vor-)Leser*innen und Erklärungen zu den Wörtern in 41 verschiedenen Sprachen, die in den Bildern auftauchen. Im Gabriel-Verlag (522-30674- 4) ist eine Neuausgabe des Buches von Martin Polster Gib mir Wurzeln, lass mich wachsen. Psalmen für Kinder mit farbenfrohen Bildern von Marijke ten Cate herausgebracht worden. Die sorgfältige Auswahl von vierzig Psalmen in kind- und sachgemäßer Übertragung eignet sich vorzüglich, um Kinder beim Großwerden zu
begleiten. Auf dem Weg mit Jesus. Biblische Erzählungen mit Kindern lautet der Titel des Buches von Stephan Sigg für Kinder ab acht Jahren mit Illustrationen von Katrina Lange, das die beliebtesten biblischen Geschichten aus dem Neuen Testament aus einer neuen, spannenden Perspektive erzählt: Kinder zur Zeit Jesu erleben die Ereignisse aus den Evangelien hautnah mit und Leserinnen und Leser können erfahren, wie aktuell die Bibel noch heute ist. Die 15 Geschichten motivieren sehr, sich seine eigenen Gedanken über Jesus und seine Botschaft zu machen. Im Verlag Herder (451-71682-9) ist eine Neuausgabe der Meine große Kinderbibel von Erich Jooß mit perspektivenreichen Illustrationen von Katja Gehrmann für Kinder ab acht Jahren erschienen. Auf über 200 Seiten finden sich 116 biblische Geschichten mit Farbschnitt und Lesebändchen sowie mit Sprechblasen, Übersichtskarten und Bibelstellenverzeichnis.
In seiner im Verlag Walter de Gruyter (11-137895-4) erschienenen umfangreichen Berliner Habilitationsschrift Verantwortung in der evangelischen Ethik. Begriff – Imagination – Soziale Praxis gelingt Florian Höhne eine eindrucksvolle Strukturierung des Begriffs Verantwortung. In seiner luziden Einleitung „Wieso den Verantwortungsbericht ethisch reflektieren?“ schreibt der Verfasser ausführlich über den Weg seiner Arbeit: „In exemplarischen Kritiken der Verantwortung und evangelisch- theologischen Ethiken der Verantwortung habe ich also zwei Probleme ausgemacht: Das Anschlussproblem meint die fehlende Reflexion auf die Art und Weise der gesellschaftlichen Wirksamkeit der eigenen akademischen Arbeit am Verantwortungsbegriff; das Praxisproblem verweist auf die fehlende Reflexion der tatsächlichen Ambivalenzen von Verantwortungszuschreibungen und -übernahmen in der Gesellschaft. Zur Bearbeitung beider Probleme will ich im Zuge der kritischen Selbstreflexion evangelischer Verantwortungsethik hier einen Beitrag leisten. Den argumentativen Weg dieses Beitrages werde ich in diesem dritten und letzten Teil der Einleitung erläutern und zusammenfassen. Für die gliedernde Einteilung dieses Weges war im Großen wie im Kleinen ein Dreischritt formgebend: In der Gesamtgliederung der Arbeit, wie in vielen Kapiteln und Unterkapiteln, beginne ich mit der Frage nach dem historischen oder systematischen Ausgangspunkt einer Denkbewegung oder Begriffsentwicklung (1.3.1). Daran schließe ich jeweils eine Fokussierung der Bewegung und Entwicklung an, in der sich eine theoretische oder praktische Veränderung zeigt; hier geht es also um Übergänge (1.3.2). Im dritten Schritt – der Aneignung – geht es darum, wie eher zeitgenössische und gegenwartsorientierende Entwürfe besagte Übergänge oder deren Ergebnisse historisch angeeignet haben oder systematisch anzueignen hätten (1.3.3). 1.3.1 Ausgangspunkt: Verantwortung als soziale Praxis.
Ausgangspunkt und Grundidee dieser Arbeit ist es, Verantwortung als soziale Praxis zu verstehen. Verantwortung kommt also nicht als abstraktes und aus seinem sozialen Verwendungszusammenhang abstrahiertes Konzept in den Blick, sondern als gesellschaftlich und kulturell situierte Praxis. Wo Menschen einander oder sich selbst verantwortlich machen, Verantwortung für andere übernehmen und verantwortlich handeln – da ist Verantwortung im hier fokussierten Sinne. Sieht man Verantwortung als soziale Praxis – wie das Kritiken der Verantwortung getan haben (1.1) – wird ihre Ambivalenz deutlich. Während es auf konzeptioneller, abstrahierend-begrifflicher Ebene möglich sein mag, Verantwortung als unzweideutig Gutes zu denken, zeigt die Fokussierung von Verantwortung als Praxis die Zweideutigkeiten – und damit auch die
dunkle Seite der Verantwortung: Verantwortlich zu machen kann disziplinieren und manipulieren, Verantwortung für andere zu übernehmen kann diese paternalistisch bevormunden und verantwortlich handeln zu wollen kann überfordern. (Kapitel 2) Gerade wegen dieser Ambivalenzen muss eine evangelische Ethik, die mit dem Verantwortungsbegriff arbeitet, Verantwortung als soziale Praxis reflektieren. Das zweite Kapitel erarbeitet die dafür nötigen Kategorien, die mit Vogelmann gesagt
‚wertentziehend‘ sein müssen: Sie dürfen die Güte der reflektierten Praxis nicht schon über die Kategorien und Begriffe herstellen, um sehen zu können, wie diese Begriffe selbst entstehen und wirken. Entsprechend werden im zweiten Kapitel die Kategorien
‚Praxis‘ und ‚Imagination‘ erarbeitet und auf ein provisorisches Verständnis von Verantwortung bezogen. Damit wird das begriffliche Fundament für die folgenden ethischen Reflexionen gelegt. (2.1) Die Kategorie sozialer Praxis wird aus der Praxissoziologie übernommen (2.1). Deren Praxisbegriff verweist auf tatsächlich ablaufende, gesellschaftlich situierte Praktiken, in denen Dinge und Körper auf jeweils spezifische, von Fähigkeiten und implizitem oder praktischem Wissen informierte Weise gebraucht werden. Unter anderem ist an diesem Praxisbegriff entscheidend, dass er es ermöglicht hat, auch akademisches Theoretisieren selbst als Praxis zu reflektieren.
Insgesamt soll der Praxisbegriff diejenige Kategorie bereitstellen, die die Bearbeitung des Praxisproblems erlaubt. Auf Praktiken der Zuweisung und Übernahme von Verantwortung bezogen, ermöglicht dieser Praxisbegriff unterschiedliche Schwerpunktsetzungen: Es könnte etwa um die Rolle von Körperlichkeit oder materieller Artefakte in diesen Praktiken gehen. Weil es mir auch um das Anschlussproblem und um die kritische Selbstreflexion evangelischer Ethik als Praxis geht, fokussiere ich ein Moment des impliziten oder praktischen Wissens, nämlich: dessen imaginäre Anteile. (2.2) Deshalb wird im nächsten Unterkapitel die Kategorie des Imaginären entfaltet – und zwar im Rückgriff auf Cornelius Castoriadis, Benedict Anderson und Charles Taylor (2.2). Kurz gesagt meint das ‚Imaginäre‘ sozial geteilte, dynamische, als Selbstverständliches vorausgesetzte Vorstellungswelten und -horizonte, die in sozialen Praktiken bestehen, diese ermöglichen, prägen und sich in ihnen verändern.
Entscheidend dabei ist gerade von Castoriadis her, dass das Imaginäre nicht in einzelnen Verkörperungen oder individuellen Imaginationen aufgeht, sondern immer auch ‚anderswo‘ verkörpert oder imaginiert sein kann – deshalb kommt das Imaginäre nicht nur in individuellen Vorstellungswelten, sondern auch als äußerer Zwang vor (2.2). Das wird gerade deutlich, wenn man mit Anderson Nationen als ‚imagined communities‘ versteht: Nationale Grenzen werden nicht nur individuell imaginiert, sondern auch gegebenenfalls mit Gewalt verteidigt. Die praxistheoretisch eingeordnete Kategorie des Imaginären soll hier die Reflexion dessen ermöglichen, was akademische Praxis mit anderen gesellschaftlichen Praktiken verbindet und sie füreinander anschlussfähig macht. So wird das vierte Kapitel detailliert beschreiben, wie Texte evangelischer Ethik Imaginationen voraussetzen, implizieren, explizieren und damit am Imaginären der Verantwortung mitarbeiten. Die Kategorie des Imaginären hilft so, das Anschlussproblem zu reflektieren. (2.3) Um Verantwortung als soziale Praxis auf ihre prägende imaginäre Dimension hin zu reflektieren, ist schließlich eine provisorische Bestimmung des Begriffs ‚Verantwortung‘ als Heuristik für die Auffindung relevanter Phänomene nötig. Dies liefert der dritte Teil des ersten Kapitels. Dazu werde ich zunächst in Aufnahme der Literatur zum Thema und elementarisierend zwei Hauptbedeutungsstränge in der Entwicklung des Verantwortungsbegriffs verfolgen – den juristischen (2.31.1) und den politischen Begriff von Verantwortung (2.31.2), um daran
anschließend die ethische Grundbedeutung des Verantwortungsbegriffs in folgende provisorische Definition zu bringen (2.31.3): Verantwortung meint primär das auf zukünftige Erfüllung gerichtete Zugerechnetsein einer relativ unbestimmten Aufgabe zu Akteur:innen, die für die eigenständige Erfüllung dieser Aufgabe gegenüber einer dritten Subjektposition rechenschaftspffichtig bleiben. In dieser Arbeitsdefinition ist die responsive Grundstruktur von Verantwortung angelegt: Verantwortung ist mindestens evangelisch-ethisch gesehen Antwort auf Wirklichkeit. Mit den so entwickelten Kategorien von Praxis und Imaginärem lässt sich mittels dieser Arbeitsdefinition von Verantwortung dann präzisieren, was genau mit der Formel von ‚Verantwortung als sozialer Praxis‘ gemeint ist und welche Rolle Imaginationen und der Fokus auf diese dabei spielt (2.3.2); Verantwortungspraktiken sind dann solche Praktiken, in denen Menschen auf etwas sich verhaltend antworten, das sie im Horizont des jeweils imaginären als dazu herausfordernde Wirklichkeit wahrnehmen (2.3.2.3). Solche Praktiken gruppiere ich in zwei Typen (2.3.2.2): Es geht einerseits um Praktiken, in denen vor allem besagtes ‚Zugerechnetsein einer relativ unbestimmten Aufgabe‘ hergestellt wird – diese Praktiken nenne ich Responsibilisierungspraktiken. Andererseits geht es um Praktiken, in denen dieses Zugerechnetsein gelebt und ausagiert wird – diese Praktiken nenne ich Responsepraktiken. In beiden Gruppen von Praktiken besteht eine Vielfalt von Imaginationen, die sie ermöglichen und prägen. In diesen imaginären Horizonten werden die Praktiken nicht nur selbst sinnvoll – sie schließen auch in diesen Horizonten aneinander an. Stimmt dies, dass Praktiken auch über das Imaginäre aneinander anschließen, dann ist es sinnvoll, das praxisprägende Imaginäre von Responsibilisierungs- und Responsepraktiken zu reflektieren, um damit sowohl das Anschluss- als auch das Praxisproblem zu bearbeiten; denn in diesem Imaginären hängen Responsibilisierungs- und Responsepraktiken ja zusammen. Diese Unterscheidung ermöglicht es, präziser zu fassen, was mit der kritischen Selbstreflexion evangelischer Verantwortungsethik gemeint ist: Selbstkritisch ist evangelische Verantwortungsethik dann, wenn sie sich selbst als Responsibilisierungspraktik reflektiert. Damit wird es um die Imaginationen gehen, die in dieser Responsibilisierungspraktik bestehen, sie ermöglichen, prägen und anschlussfähig machen für Responsepraktiken – oder eben nicht. Die Kategorien Praxis und Imaginäres, angewandt auf den provisorischen ethischen Verantwortungsbegriff, sind damit zunächst als wertentziehende Kategorien erarbeitet worden. In dieser Arbeit geht es mir aber nicht nur um die Beschreibung von Verantwortungspraktiken, sondern – wie eingangs benannt – um die kritische Selbstreflexion evangelischer Verantwortungsethik: Eine evangelische Ethik, die verantwortlich mit dem Verantwortungsbegriff umgehen will, muss selbstkritisch-konstruktiv reflektieren, was sie mit ihren eigenen Verwendungen dieses Begriffs der Gesellschaft antut, beziehungsweise genauer: in anderen gesellschaftlichen Praktiken anrichtet und ermöglicht. Genau dafür sind die wertentziehenden Begriffe nötig. Um diese potenziellen Wirkungen aber nicht nur feststellen, sondern um sie auch als Ambivalenzen selbstkritisch reflektieren zu können, bedarf es wiederum ethischer Maßstäbe. Versteht sich die ethische Arbeit mit diesen Maßstäben am Ort akademischer evangelischer Ethik aber selbst als Praxis, entsteht eine Spannung zwischen wertentziehender und wertbezogener Reflexion. Der dritte Teil des ersten Kapitels legt diese Spannung so aus, dass sie produktiv wird und ethische Kritik zu einem unabschließbaren Prozess macht (2.3.3.1): Theologische Ethik hat danach keinen Maßstab, der prinzipiell der wertentziehenden Kritik entzogen wäre – auch nicht in der Begründung von Verantwortung. Vielmehr arbeitet sie praktisch mit
Maßstäben, die sie phasenweise auch der wertentziehenden Kritik unterziehen kann. Dieses Verständnis wird dann mit Barths Religionskritik theologisch formal grundgelegt (2.3.3.2) und mit Mereis Differenzierung von unverfügbaren, intendierten und realisierten Guten operationalisierbar (2.3.3.3). Vor diesem Hintergrund wird die Kritik einer verantwortlichen, evangelischen, selbstkritischen Verantwortungsethik als eine dreifache profiliert (2.3.3.3): Diese Ethik fragt als Praxiskritik nach der Güte anderer gesellschaftlicher Responsibilisierungs- und Responsepraktiken und der darin bestehenden Imaginationen. Sie perspektiviert als Selbstkritik sich selbst als Responsibilisierungspraktik und fragt nach der Güte der Auswirkungen des eigenen Verantwortungsbegriffs und der davon konnotierten Imaginationen. Als Kritikkritik öffnet sie wiederum den Maßstab ihrer eigenen Selbst- und Praxiskritik der kritischen Reflexion. So stellen die Begriffe der Praxis, der darauf bezogenen Imaginationen und des Imaginären die Kategorien, mit denen Verantwortungspraktiken im Sinne des provisorisch gefassten Verantwortungsbegriffs auf ihre praktische Ambivalenz hin konstruktiv-kritisch reflektiert werden können. Der Rest der Arbeit vollzieht diese konstruktiv-kritische Reflexion für die Responsibilisierungspraktik, die evangelisch- theologische akademische Ethik selbst ist. Dazu werde ich zunächst den Verantwortungsbegriff (Kapitel 3) und die von ihm konnotierten Imaginationen (Kapitel 4) am Ort vor allem evangelischer Ethik im deutschsprachigen Raum rekonstruieren und reflektieren, um an diese Selbstkritik anschließend dann selbst Position zu beziehen und – ganz im Sinne der Offenheit für Kritikkritik – die Grundgedanken und Kriterien einer selbstkritischen evangelischen Verantwortungsethik zu skizzieren (Schlussbetrachtung)“ (61-65). In exakt dieser Schlussbetrachtung intendiert der Autor, Ansätze für eine eigene Positionierung zu entfalten – und damit Ansätze für eine (selbst-
)kritische evangelische Verantwortungsethik. „Diese wird mit den Kategorien ‚Praxis‘ und ‚Imagination‘ arbeiten und das responsive Grundverständnis von Verantwortung voraussetzen (siehe Kapitel 2). Sie wird Kriterien für die Bearbeitung des in der Zwischenbetrachtung aufgeworfenen Allokationsproblems entwickeln. Dies geschieht, indem ich mich zunächst vor dem Hintergrund der verschiedenen Verantwortungsimaginationen aus dem vierten Kapitel positioniere. Maßgeblich soll die anhand des Spätwerkes von Bonhoeffer entwickelte (4.3.3) Versöhnungsimagination sein. Die These, die in der Schlussbetrachtung begründet und entfaltet wird, lautet also: Selbstreflexive evangelische Verantwortungsethik findet den Grund für (ihre eigenen) Responsibilisierungen und deren Kritik in einem formal responsiven Verantwortungsverständnis und material im Horizont der Versöhnungsimagination, die die religiös forensische integriert, ohne diese selbst zur Basisimagination zu machen.
Die Basisimagination von Verantwortung, die der hier zu entwickelnden Position zugrunde liegt, ist vielmehr, Verantwortung als materiell auf Versöhnungswirklichkeit antwortende und ihr entsprechende zu verstehen. Als Maßstab für die Responsibilisierungen, Reflexionen und die Kritik einer selbstreflexiven Verantwortungsethik werden in der Schlussbetrachtung dann neun sich überschneidende und zusammenhängende Kriterien entwickelt. Dazu wird materialiter bei der Versöhnungsimagination angesetzt (4.3.3), genauer gesagt bei dem Narrativ, das bei Bonhoeffer die Versöhnungsimagination tradiert, dem Christusnarrativ. Darin macht Bonhoeffer vor allem drei Erzählstränge aus, aus denen ich Kriterien entwickle: 1. Vom inkarnationstheologischen Erzählstrang her ist menschliche Verantwortung als endliche Verantwortung vorzustellen und zu bejahen (A). Deshalb sind Verantwortungspraktiken insofern relativ besser, als sie Verantwortungssubjekt und -bereich klar benennen
(Konkretionskriterium), als dabei die Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten des Verantwortungssubjektes beachtet sind (Kapitaladäquanzkriterium) und als die Positionen zumindest grundsätzlich reziprozitätsoffen sind (Reziprozitätskriterium).
2. Vom kreuzestheologischen Erzählstrang her ist die gerichtete Verantwortungslosigkeit der Menschen mit Gott in Christus versöhnte Wirklichkeit (B). Das macht einen heilsamen Umgang mit humaner Verantwortungslosigkeit relativ besser, der in den Kriterien der Fehlertoleranz, der diskursiven Überprüfbarkeit von Verantwortungszurechnungen und der Reintegration konkret wird. Letzteres zielt darauf, bekennend Schuldigen die Reintegration in die gemeinsame Geschichte nicht unmöglich zu machen. 3. Vom auferstehungstheologischen Erzählstrang her wird die humane Unverantwortbarkeit der Erlösung Thema (C). Das wird konkret in der Aufgabe, die Grenzen zu dem zu entwerfen, was menschlich oder individuell nicht mehr verantwortet werden muss (Grenzentwurfskriterium), in der Bestimmung dessen die Perspektive der Teilnehmenden zur Geltung zu bringen (Beteiligungskriterium) und die Lasten des Unverantwortbaren solidarisch zu tragen oder zu lindern (Solidaritätskriterium). Damit werden in der Schlussbetrachtung Grundlage und Kriteriologie für die kritisch-konstruktive Reflexion von Response- und Responsibilisierungspraktiken vorgetragen, insbesondere auch für die Responsibilisierungspraktik die evangelische Verantwortungsethik selbst ist. Insofern sie diese Kriterien auf sich selbst wendet, ist sie selbstreflexiv und selbstkritisch. Damit ist die fundamentalethische Grundlage für materialethische Arbeit an Verantwortungspraktiken in unterschiedlichen Bereichen gelegt. Der Ausblick wird am Ende exemplarisch projizieren, in welche Richtungen diese Weiterarbeiten gehen könnten“ (71-72). Der Verfasser schließt mit dem Verweis darauf, dass die vorliegende fundamentalethische Arbeit „im Horizont der Verantwortungsimagination ein Drittes neben Verantwortung und Verantwortungslosigkeit beschrieben hat: das Unverantwortbare, das in diesem Horizont zunächst auch dies ist: ein unverfügbares Gutes. Aus dem Unverantwortbaren der Zukunft drohen nicht nur wechselnde Katastrophen. Von dort schafft letztlich Gott allein das unzweideutig Gute. Die Hoffnung darauf könnte es aushaltbar machen, inmitten eigener und fremder Verantwortungslosigkeit endlich verantwortlich zu sein“ (591). Insgesamt ein herausragender Entwurf einer selbstreflexiven evangelischen Verantwortungsethik!
Alexander Maßmann hat in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig (374-07720-5) das Buch Evangelisch kontrovers. Aktuelle Streitfragen aus ethischer Sicht veröffentlicht, in dessen Einleitung er schreibt: „Die Einzelfragen der Ethik in diesem Band stammen aus den folgenden Themenbereichen: a) das individuelle Leben,
b) Sexualität und Geschlechtergerechtigkeit, c) Bioethik, d) Klimakrise und Umweltschutz, e) die Rolle der Kirchen in einer ‚post-christlichen‘ Gesellschaft,
f) Glaube und Politik und g) eine Ethik der Kultur. Dabei geht es zum Beispiel darum, was vom assistierten Suizid zu halten ist, von militärischer Hilfe für die Ukraine, ob man in Zeiten der Klimakrise noch guten Gewissens Kinder bekommen kann, oder um rechtliche Erleichterungen für Transpersonen. Den Abschluss jedes Kapitels bildet eine kurze Literaturauswahl, die einer Einführung ins Thema anhand aktueller Geschehnisse dient und auf exemplarische Positionen verweist“ (7-8). Der Band nähert sich explorativ und schlaglichtartig Fragen der praktischen Ethik und regt durchaus zur Bildung der eigenen Meinung an.
aus mehreren unterschiedlichen Dialog-Vorlesungen entstanden ist: „Es handelt sich dabei um kontroverse Dialoge, die geführt werden zwischen einer Position A, die aus Überzeugung den christlichen Glauben evangelischer Konfession vertritt, und einer Position B, die den christlichen Glauben – ebenfalls aus Überzeugung – bezweifelt und an vielen Stellen in Frage stellt. Dabei verstehe ich unter ‚Glauben‘ aus christlicher Sicht Vertrauen auf Gott, also nicht – wie meist in unserer Umgangssprache – ein bloßes Meinen oder Vermuten. Unter ‚Zweifel‘ verstehe ich Ungewissheit bzw. Skepsis im Blick auf Aussagen oder Personen. Ich unterscheide also Zweifel bzw. Skepsis sowohl von Glauben als auch von Unglauben oder Atheismus. Dabei kann sich Zweifel ungewollt einstellen oder bewusst eingesetzt werden, um Behauptungen oder Menschen auf ihre Zuverlässigkeit hin zu prüfen. Im Blick auf mögliche Fake News ist Zweifel nicht nur zulässig, sondern zu empfehlen, wenn nicht sogar eine Verpflichtung. Ich hatte ursprünglich überlegt, ob es nicht sinnvoll und ratsam wäre, die beiden Positionen in den Vorlesungen auch auf zwei verschiedene Personen zu verteilen, die sie in Form eines lebendigen Streitgesprächs verträten. Es gab aber für mich zwei Gründe, darauf zu verzichten und stattdessen beide Positionen von einer einzigen Person, in diesem Fall also von mir selbst, vertreten zu lassen. Diese beiden Gründe für diese Zusammenlegung in eine Person waren einerseits, dass nur so ein planbarer Ablauf des Dialogs gewährleistet werden konnte, andererseits und vor allem, dass nur so eine rivalisierende Präsentation vermieden werden konnte. Letzteres war mir deshalb wichtig, weil es sich ja um eine sachorientierte Auseinandersetzung handeln sollte und nicht um eine personenorientierte Auseinandersetzung unter der Leitfrage, wer seine Position rhetorisch geschickter präsentiert“ (VII). Eine sehr gute Kostprobe bietet der zusammenfassende Dialog im Nachwort: „A: Ich habe nicht den Eindruck, dass unser Streitgespräch sämtliche Meinungsunterschiede bzw. Differenzen zwischen uns ausgeräumt oder überwunden hätte. Vor allem in der Frage nach Gott bleibt für mich der Eindruck eines erheblichen Abstandes zwischen uns, den ich so beschreiben würde: Für mich ist das Reden von Gott aus sachlichen Gründen unverzichtbar, aber im Sinne des Panentheismus interpretationsbedürftig. Das sieht B aber offenbar anders!? B: Auch ich sehe in der Gottesfrage nach wie vor die deutlichsten Differenzen, die ich folgendermaßen beschreiben würde: Ich finde den Panentheismus, den A vertritt, soweit ich ihn verstehe, sympathisch, aber ich bin der Auffassung, dass das Wort ‚Gott‘ so mit der theistischen Vorstellung von einem außerweltlichen, höheren Wesen, das gelegentlich handelnd in die Welt eingreift, verbunden ist, dass dagegen auch die panentheistischen Vorstellungen nicht aufkommen. Daran sind meines Erachtens auch die Redewendungen von Gottes Handeln, Gottes Offenbarung oder Gottes Liebe mit
‚Schuld‘ behaftet, weil sie personalistische Assoziationen und Vorstellungen von Gott wecken oder von ihnen begleitet werden. Ich spreche lieber von ‚Liebe‘ als von ‚Gott‘, weiß aber, dass ich dadurch andere unerwünschte Assoziationen wecken kann. Und theologische Alternativformulierungen für ‚Gott‘ wie zum Beispiel ‚Seinsgrund‘ oder
‚Sein-Selbst‘ sind mir zu theoretisch und zu abstrakt oder von (sic) ‚Schicksal‘ oder
‚Natur‘ sind mir zu inhaltsleer. Sie erinnern mich außerdem an Heinrich Bölls Satire:
‚Doktor Murkes gesammeltes Schweigen‘, die freilich von einem Katholiken geschrieben wurde, der mit dem Reden von ‚Gott‘ offenbar weniger Schwierigkeiten hatte, als ich sie habe. Aber ich habe für mich noch keine überzeugende, stimmige Lösung gefunden. A: Ich vermute, dass die von Tersteegen übernommene Rede von Gott als der ‚Macht der Liebe‘ (EG/Wü 641,1) für B ebenfalls keine akzeptable sprachliche Alternative ist!? B: In der Tat. Das finde ich zwar in der Sache richtig, aber doch mit Assoziationen
musikalischer und textlicher Art verbunden, die nicht ‚mein Ding‘ sind. A: Mir ist in diesem Zusammenhang auch erneut und verstärkt bewusst geworden, welch große Bedeutung für ein solches Streitgespräch eine Verständigung über die Art der Sprache hat, die für den christlichen Glauben angemessen ist. Insbesondere gehört dazu ein reflektierter Gebrauch von Metaphern, die den Verdacht wecken können, verschleiernd und verunklärend zu wirken, wenn keine Verständigung darüber erlangt werden kann, warum viele Begriffe und Aussagen nur in einem übertragenen Sinn angemessen verstanden werden können und was an ihnen wohin übertragen wird. Ich frage mich rückblickend, ob es günstig oder sogar notwendig gewesen wäre, dem inhaltlichen Dialog eine grundsätzliche Verständigung über Sprache und Sprachgebrauch voranzustellen. B: Das mag aus wissenschaftlicher Sicht so sein, aber damit hätte unser Dialog einen langen theoretischen Vorspann erhalten, der Interessenten an einem Streitgespräch zwischen Glauben und Zweifel vermutlich eher abgeschreckt hätte. A: Das könnte so sein. Ich möchte als Ertrag unseres Streitgesprächs aber noch etwas anderes nennen, das mir im Verlauf der Entstehung dieses Gesprächs immer wichtiger geworden ist: Durch die Dialogstruktur bin ich – aber vielleicht auch B – immer wieder in Situationen geraten, in denen ich positive Aussagen ausdrücklich ergänzen bzw. präzisieren musste durch Abgrenzungen, durch die deutlicher wurde, was ich nicht meine oder nicht glaube. Ich könnte es auch so formulieren: Die Dialogstruktur hat mich in der A-Position immer wieder zu Aussagen genötigt, die eine größere Tiefenschärfe besaßen bzw. bekamen, als das ohne den Dialog der Fall gewesen wäre. Das empfinde ich als einen Vorteil und als ein positives Ergebnis unseres Streitgespräches. Dabei bin ich mir durchaus bewusst, dass diese Tiefenschärfe auch als Trennschärfe wirken kann nach dem Motto: Wenn das so gemeint ist, dann kann ich dem doch nicht zustimmen.
B: Das kann ich mir ganz zu eigen machen – vor allem im Blick auf A, der ja viel häufiger als ich die christliche Lehre bzw. seine Lehrauffassung positiv darzustellen hatte. Aber es ist auch mir in der Rolle des Zweiflers gelegentlich so ergangen. Insbesondere habe ich an mehreren wichtigen Stellen die Erfahrung gemacht, dass von mir geäußerte Einwände oder Zweifel eher auf Gerüchten und Vermutungen beruhten als auf fundierten Informationen. In diesem Zusammenhang haben mich die exakt aus Bibeltexten oder anderen Ǫuellen belegten Erkenntnisse an mehr als einer Stelle überrascht und beeindruckt. Ich habe daraus die Konsequenz gezogen, Ǫuellen noch sorgfältiger und genauer zu studieren als bisher. Mein Bild vom christlichen Glauben und von der christlichen Lehre hat sich dadurch an mehreren Stellen verändert, und zwar meist zum Besseren. Insofern hat sich der Dialog auch für mich – trotz der verbleibenden Differenzen – durchaus gelohnt“ (162-163).
Im Verlag Mohr Siebeck (16-164394-1) ist von Christian Grethlein das Buch Christsein im Wandel erschienen, das wie folgt aufgebaut ist: In einem ersten Kapitel rekonstruiert der Verfasser die Entwicklung der Begriffe „Glaube“, „Kirche“ und
„Religion“ – in ihrer Herkunft und Ausprägung. „Dabei begegnen erhebliche Engführungen, teilweise sogar Verkehrungen gegenüber früheren, mit diesen Begriffen verbundenen Inhalten und Intentionen. Sachlich bedeutsam ist, dass dabei immer wieder als grundlegende Aufgabe die der Gestaltung des Lebens, also der Lebensform begegnet. Im zweiten Hauptteil – ‚Gegenwärtige Herausforderungen und damit verbundene Lebensformen‘ – gehe ich den großen gegenwärtigen Problemen für die Lebensgestaltung nach: der sich anbahnenden ökologischen Katastrophe, den weitreichenden Umstellungen durch die Digitalisierung sowie dem demografischen Wandel durch die Zunahme alter und hochaltriger Menschen. Sie können jeweils
schlagwortartig auf eine bestimmte Lebensform hin zugespitzt werden: den ‚Homo economicus‘, den ‚Homo simultans‘ sowie die ‚Silver Agers‘. Der dritte Hauptteil –
‚Christsein als aktuelle Lebensform‘ – skizziert dann die christliche Lebensform als eine weiterführende Option, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Sodann frage ich –
‚Aktuelle Formen von Glauben, Kirche und Religion‘ – nach Konsequenzen hieraus für ein heute zeitgemäßes Verständnis von Glauben, Kirche und Religion. Der Bezug auf die christliche Lebensform gibt Impulse für entsprechende Reformen bzw.
Neuorientierungen. Den Abschluss – ‚Ausblick‘ – bildet der Versuch, erste Konturen für ein zeitgemäßes Verständnis von Glauben, Kirche und Religion zu entwerfen. Im Hintergrund dieser Überlegungen steht die These, dass ‚Glaube(n)‘ und ‚Kirche‘ sowie in vermittelter Form ‚Religion‘ Begriffe sind, die bei ihrem Aufkommen wichtige Inhalte der christlichen Lebensform erfassten. Im Lauf der Zeit wurden sie den jeweiligen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten angepasst. Damit gewannen sie zunächst für die Zeitgenossen an Plausibilität. Doch kam es im Lauf der Zeit zu Erstarrungen und damit zunehmender Lebensferne. Dabei gingen wichtige Impulse der ursprünglichen Begriffe verloren. So ist es heute die Aufgabe, diese wiederzugewinnen. Dabei zeigt sich, dass ihr ursprüngliches Innovationspotenzial auch – oder vielleicht gerade besonders – heute wichtig ist und Interesse verdient“ (7-8).
Johann Hinrich Claussen hat im Verlag C. H. Beck (406-82216-2) den reichhaltigen Band Gottesbilder. Eine Geschichte der christlichen Kunst veröffentlicht, das zu einem informativen und die Augen öffnenden Ausstellungsgang einlädt, an dessen
„Einlass“ folgende Sätze stehen: „Selten kann man sich so fremd fühlen wie beim Besuch eines Museums mit alten christlichen Bildwerken. Man geht von Saal zu Saal, vorbei an all diesen Altären, Kruzifixen, Madonnen, Heiligen, sakralen Gerätschaften und fühlt sich eigentümlich verloren. Oft hat man gehört, dass solche Artefakte eine der wichtigsten Ǫuellen unserer Kultur seien und die heutige Kunst immer noch prägten, aber man mag es kaum glauben. Denn man versteht sie nicht, sie sprechen nicht zu einem, man erkennt nicht, was sie zeigen und sagen. Man kann aber auch die gegenteilige Erfahrung machen, wenn jemand diese verdunkelten Bilder zu sehen lehrt, einem die Augen für das öffnet, was auf ihnen abgebildet ist, ihre Geschichten erzählt, ihren Sinn aufschließt. Dann kann man darüber ins Staunen geraten, was es hier alles zu entdecken gibt. Manches davon wird einen überraschend berühren, anderes dürfte einem fremd bleiben, über anderes wiederum würde man gern streiten – Grund genug, sich mit unbefangener Neugier diesen Bildern anzunähern. Deshalb versucht dieses Buch, eine Art Ausstellung zu gestalten. Sie besteht aus zwölf Sälen, die einen Weg von den Anfängen durch die wichtigsten Epochen bis zur Gegenwart anbieten und einen Überblick über wesentliche Formen, Gattungen, Motive und Themen geben. Die Ausstellung möchte sich auf wichtige Beispiele konzentrieren und verzichtet auf eine dicht gedrängte ‚Petersburger Hängung‘. Denn es braucht Zeit und Raum, um auch nur ein einziges Bild zu erfassen. Im Studium der Kunstgeschichte lernt man, dass man ein Bild eine Stunde lang betrachtet haben müsse, bevor man es tatsächlich ‚gesehen‘ habe. Das klingt seltsam in einer Zeit, die eine einmalige Bilderflut entfesselt hat. Aber es ist eine schlichte Wahrheit und zugleich ein ästhetisch-meditatives Versprechen: Wer sich in Ruhe mit diesen Bildern auseinandersetzt, dessen Blick wird verwandelt, erweitert und vertieft. Zugegeben, das Vorhaben dieser ‚Ausstellung‘, mit der gesamten christlichen Bildgeschichte in einem gar nicht so umfangreichen Buch bekannt zu machen, mag vermessen erscheinen. Es lässt sich nur durchführen, wenn kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Dieses Buch sagt und zeigt bei weitem nicht
alles. Es beschränkt sich auf wenige Beispiele, die es für exemplarisch und besonders sehenswert hält. Zugleich aber soll diese Auswahl eine größtmögliche Vielfalt vor Augen führen: Uraltes und Hochmodernes, Unbekanntes und Vertrautes, Meisterwerke und Volkskunst, Schönes und Hässliches, Hinreißendes und Problematisches. Das Buch greift dankbar auf die reichen Erkenntnisse der kunstgeschichtlichen Forschung zurück, versucht aber auch eigene Akzente zu setzen. Ein besonderes Interesse gilt etwa dem kollektiven und individuellen Gebrauch der vorgestellten Bildwerke. Das Buch folgt nicht den gewohnten Routen über die ‚Höhenkämme‘ der christlichen Kunstgeschichte, sondern rückt hier und da auch sonst Vernachlässigtes in den Vordergrund. Jedes Kapitel endet mit einem Postskriptum, das von der behandelten Epoche aus einen Ausblick in andere Zeiten bietet und so Verbindungen deutlich macht, die sonst übersehen werden. Es soll keine universale These über den Sinn und Zweck christlicher Bildwerke formuliert werden, aber es werden einige grundsätzliche Themen und Fragen behandelt, die den Gang durch die zwölf Säle dieses Buches bestimmen. Da ist zunächst das widersprüchlich anmutende Phänomen, dass das Christentum zwar dem alttestamentlichen Bilderverbot verpflichtet ist, aber zugleich eine reichhaltige Bilderwelt geschaffen hat. Das führt zu der Frage, was mit dem Bilderverbot im Alten Israel gemeint war und wie es in den folgenden Jahrhunderten verstanden wurde.
Natürlich hat es keine allgemeine Bild- und Kunstfeindlichkeit zum Gesetz erhoben. Abbildungen von Pflanzen, Tieren und Menschen hat es nicht verboten, auch nicht die Darstellung von Personen und Episoden der Heilsgeschichte, wie schon die Archäologie des frühen Judentums beweist. Es richtete sich primär gegen die Darstellung und Verehrung von anderen Göttern. Zugleich ist das Bilderverbot getragen von der monotheistischen Einsicht, dass sich das Wesen und Wirken des einen, unendlichen und unsichtbaren Gottes nicht abbilden lässt. Doch was bedeutet dies, wenn Gläubige für ihr gemeinschaftliches und persönliches spirituelles Leben Bildwerke benötigen?
Was kann hier als möglich, sinnvoll oder problematisch gelten? Das war zu keinem Zeitpunkt der christlichen Bildgeschichte eindeutig geklärt und ist es auch jetzt nicht. Deshalb lohnt es sich immer noch, über das Recht und den Nutzen christlicher Bilder ebenso zu diskutieren wie über den Sinn einer christlichen Bilderkritik“ (15ff.). Eine weitere Leitfrage des vorliegenden Buches „richtet sich auf den ästhetischen und religiösen Charakter christlicher Bilder. Bis weit in die Neuzeit waren sie nicht ‚Kunst‘ im heutigen Sinne. Es handelte sich eher um – wenn auch hochklassiges – Kunsthandwerk, in Auftrag gegeben von kirchlichen oder weltlichen Personen und Institutionen, hergestellt von anonymen Meistern und ihren Werkstätten. Diese Bilder sollten angeschaut, genossen, aber auch gebraucht werden. Doch wer sie heute in einem Museum betrachtet, nimmt diesen Funktionszusammenhang nicht mehr wahr, sondern sieht in ihnen Kunstwerke und verbindet damit ganz andere Seh-Erwartungen. Wie lässt sich die heutige mit der ursprünglichen Rezeption in ein Verhältnis setzen? Drittens stellt sich die Frage, wie die Zukunft der weit zurückreichenden christlichen Bildgeschichte aussieht. Sie hat eine Fülle von prägenden Motiven hervorgebracht. Aber in der Moderne haben Bildzweifel und Bildkritik die ikonografischen Traditionen aufgebrochen, verflüssigt und durch offene Formen ersetzt. Man besuche nur einen zeitgenössischen Kirchenbau – egal ob katholisch oder evangelisch – und man wird kaum noch Bilder finden, außer einem Kreuz und einer besonderen Gestaltung des Raumlichts. Heißt das, dass die christliche Bildgeschichte an ein Ende gekommen ist und gegenständliche Darstellungen des christlichen Glaubens nicht mehr möglich sind? Bemerkenswert ist immerhin dieser Widerspruch: Während die Gegenwartskultur – man
denke nur an die Konsumökonomie und die digitale Kommunikation – immer stärker auf Bilder setzt, scheint in den meisten heutigen Christentümern eine Bildaskese vorzuherrschen. Auch deshalb mag eine Erinnerung daran, wie alles begann und sich entwickelte, nicht nur für das Verständnis des Christentums wichtig sein. Sie kann auch für das Nachdenken über die eigene Gegenwart hilfreich sein, die mit einer unvergleichlichen Bilderseligkeit gesegnet beziehungsweise geplagt ist und sich vor die epochale Frage gestellt sieht, was noch als gutes, schönes und wahres Bild gelten darf“ (19-20). Ein sehr lesens- und betrachtenswertes Buch!
In seiner in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig (374-07743-4) veröffentlichten Heidelberger Dissertation Lichtspiele des Seins. Existenzialtheologische Filmhermeneutik legt Achim Hofmann Argumente gegen den gesellschaftlichen Bedeutsamkeitsverlust des Kinos dar: „Indem die Bedeutung des Kinos für das Verhältnis der Existenz des Menschen zu Gott herausgearbeitet wird, wird dem Kino seine unentbehrliche Stellung im Kulturleben des Menschen zugewiesen“ (15). Die spannende Arbeit ist wie folgt aufgebaut: „Im ersten Kapitel werden die vier wichtigsten Zugänge zum Forschungsbereich ‚Religion und Film‘ – Film als Gegenstand theologischer und religionswissenschaftlicher Forschung, Religion und Film als funktionale Äquivalente, Religion und Film im kulturellen Kontext, Kommunikationstheoretische Zugänge zum Forschungsbereich – dargelegt, um ihre Schwächen im Hinblick auf die existenzbezogene Interpretation hervorheben zu können. Die im Kapitel beschriebenen differenzierten und methodisch abgesicherten Ergebnisse aus den Kulturwissenschaften, der Religionssoziologie sowie der Kommunikationstheorie bilden eine Vielstimmigkeit ab, die in dieser Untersuchung
nicht in Frage gestellt, sondern grundsätzlicher thematisiert wird. Das zweite Kapitel diskutiert in wissenschafts- und religionstheoretischer Weise die Forschungslage und endet mit drei Ergebnissen: Zum Ersten schließt die auf Objektivierung ausgerichtete Erforschung von ‚Religion und Film‘ eine auf die Existenz des Menschen bezogene Interpretation aus, zum Zweiten erweisen sich sowohl der funktionale als auch der substantielle Religionsbegriff als unzureichend, was drittens die theologische Ausrichtung dieser Untersuchung begründet. Um sich von der Forschungslage abzugrenzen und eine an der Existenz des Menschen orientierte Film- und Kinointerpretation entwickeln zu können, werden im dritten Kapitel die Werke von Martin Heidegger und Rudolf Bultmann herangezogen, in deren Zentren die Existenz des Menschen steht. Einerseits werden die Grundbegriffe einer existenzialtheologischen Filmhermeneutik werkgeschichtlich erörtert, andererseits werden die beiden Denker in ihre Zeit eingebettet. Die Frage nach einer geistigen Verwandtschaft von Heidegger und Bultmann steht im Mittelpunkt dieses Kapitels, um das Verhältnis von Philosophie und Theologie diskutieren zu können. Die philosophisch-theologischen Kernpunkte dieser Untersuchung werden im vierten Kapitel – Existenzialtheologische Filmhermeneutik – begründet und ermöglichen nun eine an der Existenz des Menschen ausgerichtete Film- und Kinointerpretation. Die vier verschiedenen Ebenen des Kapitels – Existenziales Verstehen nach Martin Heidegger, Existenziales Filmverstehen, Existenzialtheologisches Verstehen nach Rudolf Bultmann, Existenzialtheologisches Filmverstehen der Kino- Gegenwart – sind aufeinander bezogen und zeigen den interdisziplinären Austausch zwischen Daseinsanalyse nach Heidegger, Existenzialtheologie nach Bultmann und Film- und Kinotheorie auf. Auf der ersten Ebene – Existenziales Verstehen nach Martin Heidegger – werden die Grundbegriffe Existenz, Existenzialität, Dasein, Verstehen und Ganzheit des Daseins behandelt, um das begriffliche Gerüst der Untersuchung zu
erläutern. Ein wichtiges Ergebnis dieser Ebene wird die für diese Untersuchung grundlegende Passivität des existenzialen Verstehens sein. Die daran anschließende zweite Ebene – Existenziales Filmverstehen – verknüpft Überlegungen zum Film mit Heideggers Daseinsanalyse, um als ein zentrales Ergebnis die existenziale Wesensbestimmung des Films zu begründen. Heideggers Kunstwerk-Aufsatz und seine darin behandelten philosophischen Überlegungen führen zu den Bedingungen des existenzialen Filmverstehens. Deutlich wird, dass das existenziale Filmverstehen ein passives Verstehen der Gegenwart im Kinosaal bedeutet. Drei existenziale Merkmale der Kino-Gegenwart – Direkte Unmittelbarkeit, Passive Selbstbezüglichkeit und Transformierende Potentialität – verbinden die vorangegangenen Überlegungen und schließen die zweite Ebene ab. Die dritte Ebene – Existenzialtheologisches Verstehen nach Rudolf Bultmann – nimmt den Faden auf und erläutert den Gegenwartsbegriff im Werk des Theologen. Das Ziel wird sein, die theologische Ausrichtung dieser Untersuchung zu erklären und sie in das existenziale Verstehen der Kino-Gegenwart einzubinden. Um dieses Ziel zu erreichen, wird mit Bezug auf den Offenbarungs- und Freiheitsbegriff die Geschlossenheit von Bultmanns Hermeneutik diskutiert und die Passivität existenzialtheologischen Verstehens herausgearbeitet. Diese Passivität fundiert die theologischen Existenzialien, zu denen das Verstehen des Menschen als Gottes Geschöpf gehört. Auf der letzten Ebene – Existenzialtheologisches Filmverstehen der Kino-Gegenwart – werden die wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchung – die drei Dimensionen existenzialtheologischen Filmverstehens – definiert. Diese Dimensionen – Selbstverstehen als Filmverstehen, Filmverstehen als Verstehen der eigenen Geschöpflichkeit, Filmverstehen als Verstehen der Kino-Gegenwart – gestalten im Rückgriff auf die drei vorangegangenen Ebenen das den theoretischen Teil dieser Untersuchung abschließende Instrumentarium zur existenzialtheologischen Interpretation der Kino-Gegenwart. Im Mittelpunkt des fünften Kapitels stehen zwei Filme: Sowohl von dem britischen Horrorfilm ‚The Descent – Abgrund des Grauens‘ als auch von dem deutschen Kriegsfilm ‚Das Boot – The Director’s Cut‘ wird die Kino- Gegenwart in existenzialtheologischer Weise entfaltet. Die in den vier Kapiteln erarbeiteten Ergebnisse werden nun auf die Ästhetik, den Kinosaal als Ort der Filmdarbietung und der existenzialtheologischen Gegenwart angewendet und anhand der zwei genannten Filme verdeutlicht. Das Kapitel endet mit existenzialtheologischen Schlussbemerkungen, die die Ergebnisse dieses Kapitels zusammenfassen und in Bultmanns Werk einbetten. Im Anhang werden die Kontroversen um Bultmann und Heidegger – Heideggers Nähe zum Nationalsozialismus, die aktuelle Debatte um die
‚Schwarzen Hefte‘ und Bultmann und die Entmythologisierungsdebatte – sowie die Szenenprotokolle zu den interpretierten Filmen aufgenommen“ (15-17).
Erich Garhammer geht in seinem im Echter-Verlag (429-05995-8) erschienenen Buch Spitz-fündig. Plädoyer für einen poetischen Glauben davon aus, dass Literatur und Theologie in Verschiedenheit und Bezogenheit miteinander verbunden sind: „Kunst hat die Macht, das scheinbar immer Gültige zu irritieren, sie kann Religion in ihrem Kern brechen und, gebrochen, zu neuem Leben erwecken. Sie raubt der Religion alle selbstfabrizierte Sicherheit und setzt sie den bohrenden Fragen der Menschen aus.
Kunst und Religion haben eines gemeinsam: die Brüchigkeit ihres Wissens. Wenn sie dieser Brüchigkeit trauen, sind sie stark. Kunst provoziert eine zu selbstsichere Religion und mutet ihr das Vertrauen in die Inspiration neu zu. Die Religion entlockt der Kunst den Mut, auch letzte Fragen nicht auszuklammern“ (7). Der Autor spitzt seine literaturtheologische Arbeit noch einmal zu und ist fündig geworden: Spitz-fündig. „Der
erste Teil macht deutlich, wie Theologen mit der Kunst der Literatur umgegangen sind und wie sie damit ihre Theologie zeitgenössisch gemacht haben. Der zweite Teil zeigt auf, wie Literatur zentrale theologische Themen aufgreifen kann und so eine neue Sprache finden hilft. Es geht mir dabei um einen poetischen und zeitgenössischen Glauben, der Menschen des 21. Jahrhunderts eine (Sprach-)Heimat bieten kann“ (8).
Im Verlag Herder (451-39266-5) haben Viera Pirker und Klara Pišonić den informativen Band Virtuelle Realität und Transzendenz. Theologische und didaktische Erkundungen herausgegeben, der sich in drei Bereiche gliedert: Realität erweitern – Digitalität erschließen – Virtualität konkretisieren: „Im ersten Teil, ‚Realität erweitern‘, sind theologische und philosophische Grundsatzbeiträge versammelt. Knut Wenzel stellt die angesichts eines sich erweiternden Realitätsverständnisses der digitalbezogenen Entwicklung keineswegs triviale fundamentaltheologische Grundfrage nach der Realitäts-(un)gebundenheit des Glaubens: ‚Braucht religiöser Glaube Realität?‘ und diskutiert dies entlang der sakramentalen Dynamik von An- und Abwesenheit. Er warnt vor einer vorschnellen Gleichsetzung von Virtualität und Geheimnischarakter des Glaubens, dessen Unverfügbarkeit als entscheidendes Merkmal seiner Realität zu verstehen ist. Viera Pirker nimmt in ihrem Beitrag grundlegende mediendidaktische Orientierungen zu Körper und Erfahrung im virtuellen Raum vor. Die Erschaffung künstlicher Umgebungen, die rezeptiv genutzt werden können, stellen Erweiterungsversuche des Individuums dar, in denen Spiele mit Grenzen und Überschreitungen von Körper und Erfahrung festzustellen sind. Auf Horizonterweiterungen spielt Annette Langner-Pitschmann an, indem sie die Spuren virtueller Realität im Hinblick auf die Strukturen theologischen Verstehens und Erkennens religionsphilosophisch und erkenntnistheoretisch verfolgt. Anhand des Phänomens der Gewohnheitsbildung zeigt sie, wie sich die Erweiterung der Realität um die Dimension der Virtualität auf die Struktur menschlichen Handelns und Urteilens auswirkt. Joachim Valentin zeigt in seinem Beitrag über den Zusammenhang von Fiktionalität und Kritik anhand einiger Beispiele aus der bildenden Kunst und gegenwärtiger Medienproduktion, in welche historische Tradition die Darstellung religiöser Inhalte mit virtuellen Räumen, Figuren und Narrativen eingeordnet werden kann, und diskutiert als entscheidende Antwort auf die Herausforderung virtueller Realität ein Modell theologisch-fiktionaler Anthropologie mit und nach Wolfgang Iser.
Der zweite Teil des Bandes, ‚Digitalität erschließen‘, nimmt Konkretionen und Grundlegungen der Theologie, der Pädagogik und Didaktik durch die Beschäftigung mit Virtueller Realität vor. Die kritische Frage, wie sich vor dem Hintergrund von virtuellen Welten Zukunft denken lässt, wirft Christian Preidel auf. Dabei geht es ihm vor allem darum, dass VR das Versprechen von Offenheit und Emanzipation nicht nur simuliert, sondern auch einlöst. Lukas Brand zeigt am Beispiel der App Replika gegenwärtige Möglichkeiten und Grenzen der Reproduktion menschlicher Eigenschaften und Funktionen im technischen Medium der virtuellen Realität. Dazu weist er zunächst die technische Reproduktion des Menschen als Projekt der Reichweitenvergrößerung aus und wendet abschließend die entwickelte These auf Replika an. Für den Bereich religiöser Bildung führt Jens Palkowitsch-Kühl in seinem Artikel die Aspekte Perspektivenwechsel und Positionalität als besonders anschlussreiche religionsdidaktische Schwerpunkte in der Arbeit mit VR bzw. XR aus. An diese Thematik anknüpfend formulieren Miriam Mulders, Michael Kerres und Josef Buchner Gelingensbedingungen für den (hochschul-)didaktischen Einsatz von VR. Ihre Empfehlungen für die Gestaltung von VR-Lernszenarien beziehen sich dabei auf die
Konkretisierung von Lernmöglichkeiten in und über VR. Im dritten Teil des Bandes,
‚Virtualität konkretisieren‘, erfolgen verschiedene spezifische Konkretionen in
hochschuldidaktischen und schulischen Bildungszusammenhängen. Im (hoch-
)schulischen Bereich bewegt sich Klara Pišonić, die einen didaktischen Blick auf den VR- Einsatz in der Vermittlung von Theologie wirft. Neben einem kurzen Aufriss über die verschiedenen Arten von VR wird ein Überblick über mögliche religionspädagogische Einsatzorte gegeben. In eine ähnliche Richtung, doch mit anderer Grundlegung, nehmen Andreas Dengel und Verena Wetzel eine Potenzialanalyse immersiver Medien für den schulischen Religionsunterricht in den Bereichen der abbildungsgetreuen Substitution und konkretisierenden oder metaphorischen Redefinition vor, indem sie eine Einordnung nach den mit den Inhalten verbundenen Visualisierungen und deren Aufgabenstrukturen aus dem hessischen Lehrplan für Evangelische und Katholische Religion in eine eigens entwickelte Potenzialmatrix vornehmen. Einen tiefen Einblick in die Implementierung von Virtual Reality in der Hochschullehre ermöglicht der Beitrag von Ute Verstegen, Lara Mührenberg, Falk Nicol und Jenny Abura. Sie stellen vielfältige Erfahrungen zur Entwicklung virtueller Exkursionen in der Hochschuldidaktik vor, zeigen Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von VR-Technologie für die universitäre Lehre der Christlichen Archäologie auf und stellen Materialien zur Diskussion, die als Open Educational Resources auch von anderen genutzt werden können. Ebenfalls in einem fächerspezifischen Kontext blickt Martin Nitsche durch die VR-Brille auf neue Möglichkeiten des biblischen Lernens. Er stellt die besonderen Herausforderungen der Textrezeption eines Buches, auch in den Grenzen von Schrift und Digitalität, dar und spricht sich im Hinblick auf die Entwicklung von VR für spielerische Neukonstruktionen des (Bibel-)Textes aus. Durch die zunehmend erschlossenen Einsatzmöglichkeiten virtueller Realitäten im Religionsunterricht fordert Anne-Elisabeth Roßa mehr Lehr- und Lernszenarien in VR-Umgebungen in der Religionslehrer*innenbildung. Die Autorin reflektiert den an der Universität Hildesheim bereits erprobten Einsatz avatarbasierter virtueller Lernumgebungen bei dieser Zielgruppe. Über die Erprobung von VR- Lernumgebungen zum Thema Kirchraumbegegnung in der Jahrgangsstufe 6 eines Gymnasiums in Offenbach berichten und reflektieren schließlich die Religionslehrer Holger Höhl und Frank Wenzel in ihrem Beitrag, der VR zwischen digitalem Abenteuer und verantwortetem Einsatz diskutiert“ (12-14).
Das Bilderbuch Das Dings, das zum Nachdenken anregt über Freundschaft, über den Umgang mit Unbekanntem und über den Sinn des Lebens, hat Simon Puttock mit anregenden Illustrationen von Daniel Egnéus in der Übersetzung aus dem Englischen von Fabienne Pfeiffer im Carlsen-Verlag (551-52207-8) für Kinder ab drei Jahren geschrieben. „Das Dings lag genau dort, wo es hingeplumpst war, bewegte sich nicht und gab keinen Mucks von sich.“ So beginnt die Begegnung mit einem geheimnisvollen unbekannten Wesen für die vier Tiere Flick, Purzel, Brummel und Romp und im weiteren Verlauf für alle an dem Dings interessierten Leute, die von weit her zu dem schnell berühmt gewordenen Dings strömen. Als auf der ganzen Welt Streit über das Dings entsteht, ist das Dings eines Morgens ohne einen Mucks weg: „Irgendwie war es entplumpst und verschwunden, beinahe so, als wäre es nie da gewesen.“ Ein phantasievoller Impuls zum Reflektieren von (Lebens-)Geheimnissen! Wenn der Wind vom Meer erzählt lautet der Titel des von Sonja Stangl im Tyrolia-Verlag (7022-4278-7) gestalteten poetischen Buches über Achtsamkeit, Aufmerksamkeit und Freundschaft
für Kinder ab vier Jahren. Ein kleines Mädchen hilft einem alten Bären mittels eines selbst gebastelten Sprach- und Hörrohres aus seiner Isolation. Gemeinsam gehen die beiden auf eine Entdeckungsreise in die Welt der Geräusche und all ihrer Geschichten, die auch nach dem Verschwinden des Bären ihre Spuren hinterlässt. Als Pappbilderbuch ist im Aladin-Verlag (8489-0193-7) von Benji Davies in der Übersetzung aus dem Englischen von Johanna Hohnhold Opas Insel erschienen, in dem es um die enge Beziehung zwischen Sam und dessen Opa geht. Gemeinsam starten sie von Opas Dachboden aus eine große Schiffsreise zu einer Insel, auf der Opa alleine zurückbleiben möchte. Sam steuert das Schiff sicher in den Hafen zurück und findet auf Opas Dachboden einen Umschlag mit einem Erinnerungsbild seines Opas auf der Insel. Eine tröstliche Botschaft, dass auch bei weitester Entfernung im Herzen geliebte Menschen sich ganz nahe sein können! Die Autorin Sabrina Hinrichs hat im Verlag kleinCgroß (946360-63-6) mit feinsinnigen Illustrationen von Daria Kuvakina das inhaltlich analoge Buch Opa, wohin fährst du? für Kinder ab vier Jahren veröffentlicht, in dem es auch um die letzte Reise eines alten Schiffskapitäns geht. Sein Enkel Tom hat immer gerne dessen Reiseerzählungen gelauscht und beglückt alle Erinnerungsstücke aus der ganzen Welt aufbewahrt. Genau diese helfen Tom und seiner Mutter, nach dem Tod des Opas die Trauer über den Abschied des geliebten Menschen zu bewältigen: „Du hast recht. Opa ist nicht wirklich weg!“ Das außergewöhnliche Bilderbuch über Sterben und Abschied Der Besuch vom kleinen Tod hat Kitty Crowther in der Übersetzung aus dem Französischen von Maja von Vogel im Aladin-Verlag (8489-0019-0) für Kinder ab fünf Jahren herausgebracht. Es beginnt sehr herausfordernd mit den beiden Sätzen „Der Tod ist eine reizende kleine Person. Doch das weiß niemand.“ Obwohl der Tod „auf leisen Sohlen“ kommt, „behutsam“ an die Tür klopft, sich „schüchtern“ den Sterbenden nähert und sie „bei der Hand“ nimmt und fortführt, würden die Leute weinen und frieren. Überraschend anders begegnet das todkranke Mädchen Elisewin dem Tod. Es ist froh, dass er endlich kommt, zeigt ihm alles, was es kann, und erinnert ihn dadurch an seine eigene Kindheit. Nach Elisewins Tod begleitet diese den Kleinen Tod fortan als Engel und gemeinsam holen sie die Sterbenden „Hand in Hand“ ab. Die Lektüre benötigt zweifellos achtsame und fachkundige Begleitung durch Erwachsene! Eine solche bietet beispielsweise das Kinderfachbuch zu Tod und Beerdigung Ein hahnsinnig schöner Abschied von Britta Honeder mit Illustrationen von Lena Walter aus dem Mabuse-Verlag (86321-636-8) mit einem Fachteil unter Mitarbeit von Ajana Holz an. Zunächst wird darin auf 30 Seiten die Geschichte von Hilde, einem „wunderschönen kugelrunden rotbraunschwarzweißen Hähnchens mit Federn an den Füßen und den schillerndsten schwarzbunten Schwanzfedern der Welt“ erzählt, der eines Frühlingsmorgens im Hühnerstall bewegungslos auf der Einstreu lag. Aus der Sicht der Trauerbegleiterin Britta erfährt der restliche Hühnerhaufen, was mit Hilde passiert ist und welche Möglichkeiten die Hinterbliebenen haben, um sich liebevoll von dem Verstorbenen zu verabschieden und ihm ein perfektes Hahnenbegräbnis zu gestalten. Auch wenn die religiöse Dimension nicht explizit angesprochen wird, eignet sich das Buch in Kombination mit dem Fachteil ab Seite 34 „Tot – was n/tun?“ und „10 Schritten für einen wohltuenden Abschiedsweg und eine schöne Bestattung“ für Kinder ab vier Jahren im Gespräch mit Erwachsenen. Ein wundervoll optimistisches Bilderbuch ist von Dayeoun Auh im NordSüd-Verlag (314-10683-5) mit dem Titel Ein Berg, ein Sturz, ein langes Leben für Kinder ab vier Jahren erschienen. Die Geschichte der südkoreanischen Künstlerin beruht auf einem traditionellen koreanischen Volksmärchen: Der Großvater stürzt auf einem Berg, von dem eine Legende sagt: Wer auf diesem Berg stürzt, hat nur noch drei
Jahre zu leben. Der abergläubische Großvater verliert jeden Lebensmut, fühlt sich sterbenskrank, aber auch die beste Ärztin kann keine Ursache dafür finden. Kurz vor Ablauf der drei Jahre kommt seine schlaue Enkelin zu Besuch und deutet die bisher unheilvolle Legende um: „Opa, wenn du noch einmal hinfällst, lebst du noch mal drei Jahre länger. Wenn du noch mal hinfällst, lebst du sechs Jahre länger …“ Plötzlich fühlt sich der Großvater wieder fröhlich und unbeschwert und stürzt sich begeistert auf dem Berg auf den Boden: „Es war alles so einfach! Wie schön das Leben doch ist!“ Seitdem wird der Berg „Berg des langen und glücklichen Lebens“ genannt und niemand fürchtet sich mehr vor ihm. Ein kraftvolles Buch für Jung und Alt mit starken farbenfrohen Bildern, das Heiterkeit, Zuversicht und positives Lebensgefühl vermitteln kann! Noël. Ein Bär sucht Weihnachten heißt das im Verlag Herder (451-71759-8) erschienene überraschende, witzige und liebevolle Bilderbuch von Rainer Erlinger mit kollageartig gestalteten Bildern von Vanessa Riecke. Schon ein Monat vor dem Weihnachtsfest fragt der kleine Bär seine Mutter, wo denn jetzt Weihnachten sei, und läuft los, um Weihnachten zu suchen: „Aber wo er auch suchte, er konnte Weihnachten nicht finden.“ Nach langem ergebnislosem Suchen und Fragen erfährt er in einer Begegnung mit der Weihnachtsfrau mit roter Mütze und rotem Mantel: „Vieles sieht in Wirklichkeit anders aus, als man meint. Auch Weihnachten. Weihnachten ist keine Person, die irgendwo ist. Weihnachten ist überall. Überall dort, wo Leute einander liebhaben.“ Freudig läuft Noël nach Hause. Er hat Weihnachten als Inbegriff der Liebe gefunden! Die zentralen Rituale und Feste aus Christentum, Islam, Judentum, Hinduismus und Buddhismus lassen sich sehr gut mit Kindern im Alter von drei bis acht Jahren mittels des im Gabriel-Verlag (522- 30687-4) in Zusammenarbeit mit der Stiftung Weltethos veröffentlichten interaktiven Pappbilderbuches Mein großes Wimmelbuch der Weltreligionen von Stephan Schlensog mit Illustrationen von Carmen Hochmann entdecken. Die fünf großformatigen kartonierten Seiten enthalten eine bunte Fülle an Alltags- und Festszenen aus den fünf Weltreligionen und zusätzlich kleine Bildausschnitte mit kurzen Erklärungen. Auf den Klappseiten vorn und hinten im Buch finden sich zusätzliche Informationen zu Religionen in Deutschland und Religionen weltweit sowie Kinder- Darstellungen aus jeder Religion, die dann in den Wimmelbildern immer wieder die jeweilige Religion repräsentieren.
„Die großen Fragen des Lebens“. Er möchte alles, was Kinder im Grundschulalter und darüber hinaus zu Leben und Tod, Sterben und Trauer, dem „Wie“ und „Was dann“ fragen und wissen wollen, in diesem Band ohne Tabu, ohne Beschönigungen, aber auch ohne Angstmacherei sachlich, neutral und fachkundig erklären. Hervorzuheben sind insbesondere das erste Kapitel über das Leben (Alles ist geschenkt – Alle sind einmalig – Zeit als Frage der Sichtweise – Alles ist gezählt – Alles fließt) und das Kapitel „Die große Frage: Kommt da noch was?“ (Was wir sehen und wissen – Was wir hoffen und glauben). Hinweise und Informationen zu Tod und Bestattung in anderen Ländern, zu den Rechten trauernder Kinder, zu Gesprächsbedarf, Unterstützung und Begleitung sowie Begriffserklärungen von Anonymes Grab bis Vorsorgevollmacht ergänzen das hilfreiche Buch. Ellen Duthie und Anna Juan Cantavella haben mit farbigen Bildern von Andrea Antinori im Gabriel-Verlag (522-30685-0) das Kinderbuch mit 38 Antworten zum Thema Tod und Sterben Hallo Tod, ich hab da mal ne Frage herausgebracht. Die Autorinnen haben Familien, Schulen und Bibliotheken aus der ganzen Welt zu Workshops
eingeladen und sie gebeten, uns die Fragen der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen zum Thema Sterben und Tod zu schicken: „Im Lauf der Zeit haben wir Hunderte Fragen aus ganz verschiedenen Teilen der Welt erhalten (Spanien, Italien, Finnland, Deutschland, Großbritannien, USA, Kolumbien, Mexiko, Argentinien, Ecuador, Brasilien und Türkei). Alle diese Fragen kannst du auf den Innenseiten vorne und hinten im Buch lesen. Du wirst sehen, die Fragen sind extrem unterschiedlich. Manche beziehen sich auf die Biologie, die Chemie oder die Geschichte der Menschheit, in anderen geht es um philosophische oder psychologische Aspekte und wieder andere sind ganz und gar praktisch. Es gibt auch witzige und traurige Fragen, mehr oder weniger schwierige, unangenehme, mutige, überraschende und verspielte. Die 38 Fragen, die als Überschrift über jedem Kapitel stehen, sind Beispiele für die verschiedensten Vorstellungen in Sachen Tod, für die Neugier und die Sorgen der Lebenden zwischen fünf und fünfzehn Jahren, die an dem Projekt teilgenommen haben“ (11). Von der Kraft der Freundschaft zwischen den beiden zehnjährigen Freundinnen Toni und YumYum und ihrer trostspendenden Dimension in schwersten Zeiten handelt der im Carl-Hanser-Verlag (446-27922-3) erschienene und mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2025 ausgezeichnete Roman Himmelwärts für Kinder ab zehn Jahren von Karen Köhler mit kongenialen Bildern von Bea Davies. Toni hat ihre Mutter verloren und leidet – wie sie es nennt – an einer schlimmen „Vermissung“. Um diese zu lindern, baut YumYum ein
„kosmisches“ Radio, welches direkt vom Garten hinter Tonis Haus ins Weltall funken kann. Dreimal erreichen die Kinder auf diesem Weg jemand anderen: die Astronautin Zanna, die auf der ISS forscht, und reden mit ihr in Gesprächen auf Augenhöhe über die Einzigartigkeit einer jeden Person bis zu Theorien, was vor dem Urknall gewesen sein könnte. Ein hoffnungsvolles Buch mit durchgängig spürbarer transzendenter Dimension, das den Blick himmelwärts richtet – durch den sky zum heaven – und tröstet, ohne zu vertrösten!
Schließlich ist auf die Neuerscheinung Der Stolperengel. Funkelnagelneue Weihnachtsgeschichten von Susanne Niemeyer hinzuweisen, die im Verlag Herder (451-39409-6) mit Illustrationen von Nina Hammerle veröffentlicht wurde: „Sie erzählen von Kettenbriefen mit Waffelduft und Omas Superkraft. Maria sagt Nein, das Kummertier lernt fliegen, Generäle wechseln Windeln, ein Engel bringt die Welt ins Stolpern und trotzdem wird es Weihnachten – oder gerade deswegen. Ein Weihnachtsgeschichtenbuch voll Hoffnung, Mut und Himmelsglanz“ (Umschlagstext).
Im Calwer-Verlag ist das sehr empfehlenswerte umfangreiche Kombipaket Spuren Lesen 3/4 Neuausgabe erschienen, das von Petra Freudenberger-Lötz herausgegeben wird und von Carolin M. Altmann, Ulricke von Altrock, Hans Burkhardt, Petra Freudenberger-Lötz, Katharina Gaida, Ulrike Itze und Brigitte Zeeh-Silva erarbeitet worden ist. Es enthält folgende Bestandteile: Spuren lesen Arbeitsbuch 3/4 (7668- 4585-6) mit zehn Kapiteln auf 120 Seiten (Gemeinsam auf dem Weg – Achtsamkeit – In Gottes Welt – Menschen suchen Gott – Jakob und Esau – Mose – Jesus Christus – Leben und Tod – Kirche – eine vielfältige Gemeinschaft – Religionen) sowie vier Einführungen
„Unser Schulbuch“, „Ein Thema selbstständig erarbeiten“, „Bibelwerkstatt“ und „Mein Weg durch die Bibel“. Spuren lesen 3/4 Arbeitsheft (7668-4586-3) mit 50 Seiten, Spuren lesen 3/4 Handreichung für die Lehrkräfte (7668-4587-0) mit 330 Seiten sowie Spuren lesen 3/4 Bildkarten (7668-4588-7) mit 66 farbigen DIN A4-Bildkarten und Hinweisen zu deren Einsatz. Ebenfalls im Calwer-Verlag (7668-4682-2) hat Christel
Zeile-Elsner in der Reihe „calwer materialien. Anregungen und Kopiervorlagen“ Unterrichtsbausteine zur Erkundung biblischer Texte mit dem Titel Verstehst du auch, was du liest? erarbeitet. Das Buch bietet zwölf praxisorientierte Doppelstunden von
„Hat Noah seine Großeltern ertrinken lassen?“ und „Schöpfung oder Urknall?“ über
„Kann man Frauen glauben? – Auferstehungszeuginnen in den Evangelien und bei Paulus“ bis zu „Auge um Auge“ …? Schadensregulierung oder Rache im Alten Testament?“, Hatte Matthäus etwas gegen Juden?“ und „Gotteswort oder Menschenwort? – Die Bücher der monotheistischen Religionen“ als eine fundierte Einführung in hermeneutische und historisch-kritische Methoden und Fragestellungen der Bibelinterpretation – zugeschnitten auf die Bedürfnisse heutiger Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II.
„Einführungen: Theologie“ erschienenen Buches von André Jeromin, das Grundwissen zur Abiturprüfung im Fach Evangelische Religion aus praktisch-theologischer Perspektive enthält. Anknüpfend an das niedersächsische Kerncurriculum werden dazu die Inhalte der Kompetenzbereiche Gott, Jesus Christus, Mensch, Ethik, Religionen und Kirchen fachwissenschaftlich erläutert und danach drei exemplarische mündliche Prüfungen inklusive der dazugehörigen Erwartungshorizonte vorgestellt. Ebenso hilfreich ist die in der Reihe „Loccumer Perspektiven“ im RPI Loccum (936420-78-4) veröffentlichte Broschüre Theologisches Aufbauwissen Band 3 von Matthias Hülsmann, in der sich elf Antwortversuche auf die Frage, wie Menschen ihren christlichen Glauben heute denken und leben können, finden lassen. Die Spannbreite reicht von „Wozu religiöse Bildung gut ist“ und „Das Thema Abendmahl im CRU“ über
„Kann man Gott beweisen“ und „Glauben wir alle an denselben Gott?“ bis zu „Wer bin ich? und „Was bedeutet Rechtfertigung aus Gnade?“
Prof. Dr. theol. habil. Martin Schreiner, Religionspädagoge am Institut für Evangelische Theologie an der Universität Hildesheim.