Zwischen Supermarktkasse und Anwaltskanzlei. Eine klassismuskritische Perspektive auf die Darstellung von Muslim:innen in evangelischen Religionsbüchern


Naciye Kamcili-Yildiz/Marion Keuchen


Zusammenfassung

Der Beitrag nimmt die Darstellung muslimischer Menschen in evangelischen Religions-büchern der Jahrgangsstufen 7/8 in den Blick und untersucht diese aus klassismuskriti-scher Perspektive. Im Zentrum steht die Frage, welche religiösen und sozialen Deutungsmuster in Wort und Bild vermittelt und wie diese didaktisch gerahmt werden. Die Analyse verbindet schulbuchdidaktische und gesellschaftskritische Zugänge, indem sie Karlo Meyers Konzept des „doppelten Individuenrekurses“ mit einem klassismustheoretischen Ansatz nach Markus Gamper und Annett Kupfer verknüpft. Der Beitrag leistet auch eine intersektionale Reflexion im Blick auf eine interreligiöse Religionsdidaktik und mit der Schulbuchforschung verbunden auch einen Beitrag zu einer politischen Religionspädagogik, die mehrheitsgesellschaftliche Stereotype reflektieren lernt.

Schlagwörter: Islam, Klassismus, Diskriminierung, Schulbuchforschung, Schulbuch, Migration


Between Supermarket Checkout and Law Firm. A Class-Critical Perspective on the Portrayal of Muslims in Protestant Religious Textbooks


Abstract

This article examines the representation of Muslim individuals in Protestant religious ed-ucation textbooks for grades 7 and 8 from a class-critical perspective. It focuses on the question of which religious and social interpretive patterns are conveyed in text and im-age, and how these are framed didactically. The analysis combines textbook-didactic and socio-critical approaches by linking Karlo Meyer’s concept of the “double individual ref-erence” with the classism theory of Markus Gamper and Annett Kupfer. The article also offers an intersectional reflection with regard to interreligious religious didactics and, in connection with textbook research, contributes to a political religious education learning to critically reflect on majority-society stereotypes.

Keywords: Islam, classism, discrimination, textbook research, textbook, migration

  1. Einleitung

    Schulbücher gehören zu den zentralen Medien schulischer Bildung. Sie strukturieren Lernprozesse, spiegeln curriculare Vorgaben wider und prägen in erheblichem Maße die Vorstellungen, die Schüler:innen von Welt, Gesellschaft und Religion entwickeln. Als verbindliche Unterrichtsmedien fungieren sie nicht nur als Informationsquelle, sondern auch als normative Orientierungsrahmen, indem sie Werte, Perspektiven und Deutungsmuster transportieren, die den Unterrichtsinhalt rahmen und didaktisch legitimieren und gesellschaftliche Wissensordnungen widerspiegeln (Wiater, 2003,12-14).

    In religionspädagogischer Perspektive kommt Schulbüchern im interreligiösen Lernen eine besondere Rolle zu, da sie religiöse Traditionen, Glaubensvorstellungen und Perspektiven auf andere Religionen exemplarisch darstellen. Sie tragen so wesentlich dazu bei, wie Schüler:innen andere Religionen wahrnehmen und wie sich ihre eigenen religiösen Deutungsmuster ausbilden. Schulbuchanalysen ermöglichen somit Einblicke in dominante Diskurse und Leitbilder interreligiöser Bildung und sind daher ein zentrales Instrument zur Erforschung der Darstellungen anderer Religionen für schulische Lehr- und Lernsituationen.

    In diesem Beitrag gehen wir der Frage aus klassismuskritischer Perspektive nach, welches Bild vom Islam in evangelischen Schulbüchern gezeichnet wird. Unser Beitrag ist so aufgebaut, dass wir zunächst auf die grundsätzliche Bedeutung von Schulbüchern für schulische Lehr- und Lernprozesse eingehen. Daran schließt sich ein historischer Exkurs an, wie der Islam als Inhalt in evangelischen Schulbüchern platziert und thematisiert worden ist. Nach einem exemplarisch zusammengestellten Überblick über die bisherigen Analysen der Islamkapitel in evangelischen Schulbüchern widmen wir uns anschließend unserer eigenen Untersuchung, die evangelische Religionsschulbücher der Jahrgangsstufen 7/8 aus dem Zeitraum von 1978 bis 2020 in den Blick nimmt. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie muslimische Menschen in Wort und Bild dargestellt werden, welche religiösen und sozialen Deutungsmuster diesen Darstellungen zugrunde liegen und inwiefern dabei klassistische Strukturen und Zuschreibungen (re)produziert werden.

  2. Bedeutung von Schulbüchern

    Schulbücher sind nicht nur Informationsquellen, sondern

    „im engeren Sinne ein überwiegend für den Unterricht verfasstes Lehr-, Lern- und Arbeitsmittel in Buch-oder Broschüreform sowie Loseblattsammlungen, sofern diese einen systematischen Aufbau des Jah-resstoffs einer Schule enthalten […]; in einem weiten Sinne zählen zum Schulbuch auch Werke mit bloß zusammengestelltem Inhalt wie Lesebücher, Liederbücher, die Bibel, Atlanten und Formelsammlungen. Als Textart steht das Schulbuch zwischen dem Sachbuch und dem wissenschaftlichen Fachbuch. Seiner Konzeption nach dient es als didaktisches Medium in Buchform zur Planung, Initiierung, Unterstützung und Evaluation schulischer Informations- und Kommunikationsprozesse (Lernprozesse)“ (Wiater, 2003, 12).

    Diese Definition macht deutlich, dass Schulbücher nicht nur Informationsmedien sind, sondern zugleich didaktisch strukturierte Vermittlungsinstrumente, die Lernprozesse gezielt steuern. Sie bündeln Wissen, wählen Inhalte aus, ordnen diese nach pädagogischen Zielsetzungen und präsentieren sie in einer für Lernende zugänglichen Form. Damit sind Schulbücher stets Ergebnis von Auswahl- und Deutungsprozessen, die nicht neutral, sondern durch fachliche, curriculare und gesellschaftliche Vorgaben geprägt sind. In diesem Sinne übernehmen Schulbücher in ihrer Funktion als Medium zwischen Wissenschaft und Unterrichtspraxis die Rolle, Wissen, das als wissenschaftlich gesichert angesehen wird, in schulisch vermittelbare Lerninhalte zu transformieren. Sie sind somit auch didaktische Werkzeuge, in denen sich normative Werte, Diskurse und auch gesellschaftliche Machtverhältnisse widerspiegeln.

    Gerade den Schulbüchern des Religionsunterrichtes kommt noch einmal eine besondere Rolle zu, da sie neben der staatlichen Zulassung auch die der jeweiligen Religionsgemeinschaft bedürfen (Porzelt, 2021, 376-377). Vor diesem Hintergrund ist die Analyse von Kapiteln zu anderen Religionen in Religionsbüchern nicht nur eine Untersuchung didaktischer Materialien, sondern zugleich eine Diskursanalyse religiöser und gesellschaftlicher Selbst- und Fremdbilder (Henningsen, 2023 und dies., 2024, 164).

  3. Historischer Exkurs: Der Islam in evangelischen Religionsbüchern

    Harmjan Dam (2024a) zeigt in seiner Untersuchung zum Islambild in evangelischen Reli-gionsschulbüchern vom 17. bis ins 19. Jahrhundert, dass die Thematisierung des Islam einem deutlichen Wandel unterlag, zugleich jedoch durch eine beständige „Pfadabhängigkeit“ (Leuze, 2024, 303) negativer Stereotype geprägt blieb. Während in den frühneuzeitlichen Universalgeschichten der Islam als „antichristliches Reich“ und Muhammad als Betrüger und Synkretist dargestellt wurden, spiegelte sich darin vor allem die von Mar-tin Luther geprägte Vorstellung einer religiösen Bedrohung durch „die Türken“ wider. Mit der Aufklärung und der Entstehung des rationalen Religionsunterrichts um 1770 wurde der Islam zunehmend als eigenständige Religion beschrieben und es zeigen sich erstmals systematisch Glaubensinhalte, Praktiken und ethische Prinzipien. Dennoch blieb die Rede von der gewaltsamen Ausbreitung oder falschen Offenbarung virulent (Dam, 2024a, 135). Im 19. Jahrhundert wandelte sich das Bild weiter: Während in rationalistisch geprägten „Hülfsbüchern“ (Dam, 2024a, 142) eine sachlichere und historisch informierte Darstellung erkennbar wurde, hielten erwecklich-missionarische Autoren an der Deutung des Islam als ‚muhamedanische[r] Finsternis‘ (Dam, 2024a, 139) fest. Dam verdeutlicht, dass diese ambivalente Mischung aus Abwertung, Faszination und partieller Anerken-nung sowohl die protestantische Theologie als auch die Schulbuchproduktion jener Zeit prägte und damit die bis ins 20. Jahrhundert reichende Wahrnehmung des Islam in der evangelischen Religionspädagogik nachhaltig beeinflusste.

    Nach dem Zweiten Weltkrieg waren andere Religionen in Schulbüchern zunächst unterrepräsentiert. Erst im „Kursbuch Religion“ (Calwer/Diesterweg Verlag 1978) wurde der Islam aufgegriffen (Herrmann, 2012, 88-95), „mit dem Ziel, einen Beitrag zum besseren Verstehen der Herkunftsländer ausländischer Mitbürger:innen zu liefern“ (Dam, 2024b, 29).

    Die erste kritische Reflexion der Islamkapitel in Schulbüchern erfolgte von Udo Tworuschka und Abdolvajad Falaturi, die im Auftrag des Georg-Eckert-Instituts eine deutschlandweite Analyse bestimmter Schulbücher durchgeführt haben und zum Ergebnis kom-men, dass kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Christentum und Islam ein negatives Islambild in Schulbüchern geprägt haben (Tworuschka, 1986). Die erste religionspädagogische Analyse aus muslimischer Perspektive ist von Naciye Kamcili-Yildiz vorgenommen worden, die bei der Darstellung des Islam im Kursbuch Religion (Calwer/Dies-terweg Verlag 2008) und SpurenLesen (Calwer/Diesterweg Verlag 2007) zum Ergebnis kommt, dass diese nur eingeschränkt sachgerecht sind. Zwar werde der Versuch unternommen, Grundwissen über den Islam und interreligiöses Lernen zu vermitteln, doch führten inhaltliche Fehler, die Vermischung von Religion und Kultur sowie stereotype Darstellungen dazu, dass kein differenziertes Bild des Islam entstehe. Die Bücher präsentierten „ein sehr homogenes Bild mit pauschalen Aussagen über die Muslime“ und berücksichtigten die innere Vielfalt des Islam kaum (Kamcili-Yildiz, 2012, 137). Insgesamt sei das Ziel, den Lernenden ein sachgerechtes und differenziertes Verständnis des Islam zu vermitteln, „nur in Ansätzen gelungen“ (ebd., 141).

    Auch eine kritische Analyse von Joachim Willems (2020) zeigt in der Thematisierung des Islam am Beispiel des Kursbuch Religion 7/8, wie Muslim:innen bereits in der Kapitelüberschrift „Muslime unter uns“ „als fremd gekennzeichnet und einer Wir-Gruppe gegenübergestellt“ werden (Willems, 2020, 150). Auch wenn das Buch an einzelnen Stellen um Differenzierung bemüht sei, werde zugleich „ein Rahmen für die späteren Inhalte des Kapitels gebildet, in den die [...] Aspekte vornherein als ‚fremd‘ und ‚nicht eigentlich dazugehörend‘“ (ebd., 151) eingeordnet werden. Durch solche Gegenüberstellungen von „muslimisch“ und „deutsch“ oder „christlich“ werde, so Willems, suggeriert, „dass die Unterschiede zwischen ‚den‘ Muslimen und ‚den‘ Deutschen relevanter wären als andere Unterschiede“ (ebd., 151).


  4. Schulbuchauswahl, Analysefokus und Analysekriterien

    Unsere Analyse basiert auf evangelischen Religionsschulbüchern, die zwischen 1978 und 2020 in der Bundesrepublik Deutschland erschienen sind und sich an die Jahrgangsstufen 7/8 richten. Diese Doppeljahrgangsstufe wurde von uns ausgewählt vor dem Hintergrund, dass in vielen Lehrplänen für das Fach Evangelische Religionslehre das Themenfeld Islam in diesem Doppeljahrgang bearbeitet werden soll. So werden im nordrhein-westfälischen Lehrplan „Glauben und Lebensgestaltung muslimischer Menschen“ explizit verankert (Lehrplannavigator NRW, Hauptschule, 2012; Gymnasium, 2019).

    Im Zentrum der Untersuchung steht die Schulbuchreihe Kursbuch Religion (Calwer/Diesterweg Verlag), das über die vergangenen vier Jahrzehnte hinweg das meistverbreitete evangelische Religionsbuch in Deutschland war und immer noch ist. Aufgrund seiner langen Erscheinungsdauer (Solymár, 2009, 49) und seiner breiten Rezeption gilt es als „Spiegelbild der evangelischen Religionspädagogik“ (Herrmann, 2012, 17). Zudem ist Kursbuch Religion die am intensivsten wissenschaftlich analysierte Schulbuchreihe im Bereich der evangelischen Religionsdidaktik (Solymár, 2009; Herrmann, 2012; Willems, 2019; Henningsen, 2024). Ergänzend werden in der vorliegenden Studie weitere zentrale Lehrwerke einbezogen, um verschiedene Schulbuchverlage und ihre didaktischen Ansätze zu berücksichtigen: Glauben und Leben (Gymnasium 7./8. Schuljahr, Schroedel Verlag 1989), Gerechtigkeit lernen (Religion 7/8, Klett Verlag 1996) sowie Religion im Dialog (Klasse 7/8, Vandenhoeck C Ruprecht 2020). In den beiden letztgenannten Werken waren mit S. Mohsen Mirmehdi bzw. Havva Yakar auch muslimische Autor:innen beteiligt, was für die interreligiöse Perspektivierung besonders relevant ist.

    Untersucht wird die Darstellung muslimischer Menschen in evangelischen Religionsbüchern. Der analytische Fokus liegt dabei auf der exemplarischen Darstellung individueller Perspektiven von Muslim:innen in Wort und Bild. Karlo Meyer (2019) betont das Potenzial dieser Darstellungsform für interreligiöses Lernen: Durch die Vermittlung religiöser Inhalte aus der Perspektive einzelner Personen werde der Vorstellung einer Religion als monolithischem Block entgegengewirkt. Zugleich könne so vermieden werden, dass der Eindruck entstehe, es gebe eine einheitlich ‚richtige‘ Form religiöser Praxis (ebd., 373-377). Meyer bezeichnet dieses Vorgehen als „doppelten Individuenrekurs“ (ebd., 373). Einerseits werden dabei authentische religiöse Praktiken und Haltungen von Angehörigen einer Religionsgemeinschaft gezeigt, die zugleich mit verallgemeinerbarem religionskundlichem Wissen in Beziehung stehen. Andererseits sollen sich die Lernenden mit diesen individuellen Perspektiven auseinandersetzen und eigene Bezüge herstellen (ebd., 375).

    Die Analyse folgt einem klassismussensiblen Ansatz. In Anlehnung an Markus Gamper und Annett Kupfer (2024) wird Klassismus verstanden als „breit angelegter Prozess, der bezogen auf sozioökonomische Klassen(-milieus) einerseits Stigmatisierung und Diskriminierung, andererseits aber auch exkludierende Prozesse der Strukturierung und der Schaffung von Klassen und damit die Produktion und Reproduktion sozialer, ökonomischer und kultureller Asymmetrien umfasst“ (Gamper/Kuper, 2024, 13).

    Auf die Darstellung muslimischer Menschen in Schulbüchern bezogen ergeben sich daraus folgende leitende Fragestellungen: Welche Berufe üben die dargestellten muslimischen Personen aus und welche Klas-senposition wird durch ihre berufliche, biografische und visuelle Darstellung vermittelt? Inwiefern tragen diese Darstellungen zur (Re)produktion klassistischer Strukturen und Stereotype in evangelischen Religionsschulbüchern bei?

  5. Darstellungen von muslimischen Menschen in Text und Bild in Islamkapiteln von Schulbüchern des evangelischen Religionsunterrichts unter klassismussensibler Perspektive

    Im Kursbuch 7/8 von 19781 werden auf der zweiten Doppelseite unter der Frage „Was wissen wir vom Islam?“ im Text zwei Alltagssituationen näher beschrieben. In der ersten Vignette wird von einem deutschen Elektromeister erzählt, der seinen türkischen Mitarbeiter sonntags zum Mittagessen eingeladen hat. Die Frau des Elektromeisters serviert dem Gast Rippchen, die er nicht probiert, worüber sich die Frau im Nachgang der Einladung bei ihrem Mann beklagt (Kraft/Schmidt/Schmidt, 1978, 148). Warum der türkische Mitarbeiter die Rippchen ablehnt, bleibt im Schulbuch offen, es wird aber ein religiöser Bezug suggeriert und im Lehrerhandbuch explizit thematisiert (Bätz/Hanisch, 1980, 180). In der nächsten Vignette kontrolliert der deutsche Verwalter die „betriebseigenen Wohnbaracken türkischer Gastarbeiter“ (Kraft/Schmidt/Schmidt, 1978, 148). Auch er beklagt sich über eine Reihe Teppiche, „die offenbar achtlos herum liegen“ und ein „Nistplatz für Ungeziefer“ seien (ebd.). In beiden Vignetten werden die muslimischen Männer als Gegensatz zu den deutschen, vom sozialen Status höher gestellten Männern dargestellt. Ethnische (türkisch) und religiöse (muslimische Speise- und Gebetspraktiken) Kategorien verwischen. Die deutschen Männer und die Frau werden dagegen nicht als religiös markiert. Die Angehörigen des Islam werden in klassistischer Perspektive dreifach sozial niedriger gezeichnet: Sie üben eine sozial als niedriger eingestufte Tätigkeit aus und stehen in einem Abhängigkeits- und Kontrollverhältnis zum deutschen Mann. Die deutsche Frau steht auch in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Mann, da sie ihn und seinen Gast bekocht. Die Wohnsituation der Muslime weist auf einen ökonomisch niedrigeren Status hin, da die türkischen Gastarbeiter in einer „Wohnbaracke“ wohnen, die dem Betrieb gehört. Beim deutschen Ehepaar kann davon ausgegangen werden, dass ihnen ihre Wohnung/ihr Haus gehört oder sie es zumindest selbstbestimmt gemietet haben. Als dritter Aspekt kommt die aktive Religionsausübung hinzu, die mit einem geringeren sozioökonomischen Status verbunden und als „rückständig“ wahrgenommen wird (weitere Analyse Willems, 2019, 303). Die beiden Vignetten bilden ausschließlich die authentische, mehrheitsgesellschaftlich - westdeutsche Perspektive der 1970er Jahre im gesellschaftlichen Kontext der 1970er Jahre in Westdeutschland ab: Es wird vom Unverständnis dreier Deutscher über die (Glaubens)Praktiken türkischer Gastarbeiter erzählt. Die Innenperspektive der muslimischen Männer wird nicht thematisiert. Ein Foto fehlt.

    In der Neubearbeitung Das neue Kursbuch Religion (Kraft/Schmidt, 1986) sind die beiden Vignetten mit den türkischen Gastarbeitern weggefallen. Auf der zweiten Doppelseite zum Thema ist das gleiche Foto wie auch schon in der Ausgabe von 1978 (S. 150) abgedruckt (dazu Henningsen, 2024, 176-181; Willems, 2019, 302-304). Das farbige Foto, das den schwarzen Stein der Kaaba in Mekka abbildet, gehört thematisch noch zur vorausgegangenen Doppelseite, auf der von der vorislamischen Zeit, dem Wallfahrtsort Mekka mit der Kaaba und dem Leben Mohammeds berichtet wird (Kraft/Schmidt, 1986,160). Da unter dem Foto jedoch der neue Untertitel „Ausbreitung und Heiliger Krieg“ steht, liegt eine spontane Verbindung mit diesem Untertitel nahe. In der Bildmitte des Fotos ist der schwarze Stein der Kaaba zu sehen, der auf der linken Seite von drei BIPoC-Männern in weißen Gewändern mit ihren Händen berührt wird. Die Sonnenkappen und zum Teil nack-ten Arme der Männer lassen Hitze vermuten. Auf der rechten Seite steht ein einzelner Mann in einem dunklen Gewand, ebenfalls BIPoC, mit einer als grimmig zu lesenden Mimik. Eine spontane und affektive Betrachtung verbindet die Wörter „Heiliger Krieg“ mit dem „grimmigen“ Mann, der neben der Kaaba eindeutig als Muslim identifizierbar ist. Neben dem Text werden die Muslime mit dem Bild aus klassistischer Perspektive als sozial niedrig abgebildet, sie tragen lange Kleider bzw. Gewänder, die im kulturellen Kontext deutscher Gesellschaft „fremd“ und „orientalisch“ wirken und in der Phase der Erscheinung des Schulbuches, 1986 in Westdeutschland, als nicht moderne Kleidung galten.

    Im drei Jahre später erschienenen Schulbuch Glauben und Leben aus dem Schroedel Verlag wird das Kapitel „Muslime – Christen“ mit dem Foto eines BIPoC-Mädchens abgebildet, das in ihrem Wohnzimmer steht (Kwiran/Röller, 1989,141).


    Das Mädchen ist in der aktuellen Mode der 1980erJahre in Deutschland gekleidet, trägt Jeans und Sweatshirt und ihre schwarzen langen Haare werden am Hinterkopf mit einer Spange gehalten. Das Wohnzimmer zeigt einen Raum, der einer Mittelschichtsfamilie zugeordnet werden kann, mit brauner Ledersofagarnitur, getrenntem Wohn- und Essbe-reich und einem laufenden Fernsehgerät im Hintergrund.

    Abb. 1: Kwiran/Röller, 1989, 141.


    Das Mädchen ist in der aktuellen Mode der 1980er Jahre in Deutschland gekleidet, trägt Jeans und Sweatshirt und ihre schwarzen langen Haare werden am Hinterkopf mit einer Spange gehalten. Das Wohnzimmer zeigt einen Raum, der einer Mittelschichtsfamilie zu-geordnet werden kann, mit brauner Ledersofagarnitur, getrenntem Wohn- und Essbereich und einem laufenden Fernsehgerät im Hintergrund. Auf der nächsten Seite ist ein schwarz-weißes Foto einer Sitzbank abgebildet, auf der „Kanaken raus!“ mit einem umgedrehten Hakenkreuz geschmiert ist. Über der Bank ist der Vers 3. Mose 19,33f. abgedruckt, der von der von Gott eingeforderten Liebe zum Fremdling im eigenen Land erzählt.2 Im Schulbuchtext wird erzählt, dass Fergül (14) und ihr Bruder Yilmaz (10) oft an dieser Bank vorbeikommen und die Feindschaft nicht verstehen, die ihnen entgegenschlägt, sind sie doch beide in Deutschland geboren. Das Farbfoto von Fergül in ihrem Wohnzimmer zeigt zunächst keine klassistische Abwertung ihrer Person und Lebensumstände. Sie wird in ihrem sichtbar deutschen, modernen und ökonomisch gut gestellten Zuhause vorgestellt. Erst in der Verbindung mit den weiteren Schulbuchseiten werden ihre Fremdheitserfahrung thematisiert, die an sie von ihrer Außenwelt herangetragen werden. Fergül fragt sich selbst, ob diese Ablehnung mit ihrer Religion zu tun habe. Ihre authentische Innenperspektive wird erzählt. Im Wohnzimmer oder an ihrer Person sind keine Details erkennbar, die auf ihre muslimische Religionszugehörigkeit hindeuten, sie wird erst im Schulbuchtext erwähnt.

    Im Schulbuch aus dem Klett Verlag Gerechtigkeit lernen von 1996 (Ruppel/Schmidt, 1996) kommt in dem Kapitel „Die Moschee – gebauter Glaube im Islam“ (Ruppel/Schmidt, 1996, 112) der „in Berlin lebende Muslim Mohsen Mirmehdi“ (ebd., 112) als Mitautor des Schulbuchs selbst zu Wort. Er führt als genannter Autor des Kapitels in „sein Gotteshaus“ und den darin ausgedrückten Islam anhand architektonischer Besonderhei-ten ein. Mirmehdi wird weder mit einem Foto abgebildet noch werden weitere Angaben zu seinem Beruf gemacht. Er ist als Mitautor des Schulbuchs eingeführt, was eine akademische Ausbildung bzw. einen höheren Bildungsstand vermuten lässt und ein gehobenes sprachliches Ausdruckvermögen voraussetzt.

    Auch beim überarbeiteten Kursbuch Religion 2000 (Kraft/Petri/Schmidt et al., 1998) wird eine Muslima als Mitautorin bei der Buchproduktion hinzugezogen. Allerdings wird die Islamwissenschaftlerin Monika Tworuschka nirgends im Schulbuch als Mitautorin erwähnt. Ihre Mitwirkung kann nur aus der Sekundärliteratur zum Schulbuch gewusst werden (Herrmann, 2012, 185; Willems, 2019, 305). Auf der zweiten Doppelseite mit dem Ti-tel „Muslimin, Moslem sein“ werden individuelle muslimische Menschen in Text und Fo-tos abgebildet. Gerade im direkten Vergleich mit der überarbeiteten Auflage von 2005 (Kraft/Petri/ Rupp et al., 2005) werden klassistische Merkmale sichtbar (weitere Analyse vgl. Willems, 2020,149f-152; Willems, 2019, 305-306). Die Teppichknüpferin Belma wird in der Ausgabe von 1998 ohne Foto abgebildet. Von ihr werden folgende biographische Details erzählt:

    „Belma kommt aus Anatolien in der Türkei. Schon als Kind hat sie Teppichknüpfen gelernt. Ihr Vater ist vor über dreißig Jahren [sic!] nach Deutschland als ‚Gastarbeiter‘ gekommen. Er hat einige Jahre später seine Familie nachkommen lassen. Belmas Kinder sind in Deutschland geboren und fühlen sich ganz als Deutsche. ‚Manchmal aber träume ich von meiner alten Heimat‘, sagt sie. ‚Als wir in den Ferien einmal dort waren, fand ich mich nicht mehr zurecht.‘“ (Kraft/Petri/ Schmidt et al., 1998, 220).

    Aus klassistischer Perspektive betrachtet ist auffällig, dass weder von Belma noch von ihrem Vater oder ihrem Sohn ein Beruf genannt wird. Einzig wird von Belma erzählt, dass sie als Kind Teppichknüpfen gelernt habe, ein Handwerk, dass hierzulande keine Entsprechung hat. Damit werden Stereotype aufgebaut bzw. reproduziert, die Assoziationen von Kinderarbeit wegen Armut und Ausdruck von Not wecken. Biographische Details berichten ausschließlich von den Migrationserfahrungen ihrer Familie. Die Gefühlsebenen Belmas und ihrer Kinder werden betont, doch stehen die genannten Emotionen in keiner Beziehung zu ihrer Tätigkeit als gelernte Teppichknüpferin. Warum wurde dieser Aspekt dann überhaupt thematisiert? Möglicherweise dient er zur Kontrastierung von einer besseren modernen Welt ihres Lebens in Deutschland zu der Armut und Zurückgebliebenheit der Türkei. Durch diese Betonung der affektiven Ebene wird Belma nicht in einer aktiven (beruflichen) Rolle wahrgenommen. Nur ihr Vater zeigt Aktivität durch seine Auswanderung aus der Türkei. Belmas jetziger sozialer Status wird auf ihr Muttersein reduziert und nicht weiter ausgeführt.

    In der Ausgabe von 2005 wird Belma mit einem Foto abgebildet (Kraft/Petri/Rupp et al., 2005, 224). Im beschreibenden Text heißt es:

    „Belma aus Anatolien hat als Kind Teppichknüpfen gelernt. Ihr Vater ist vor über 20 [sic!] Jahren nach Deutschland gekommen und hat hier ein Geschäft eröffnet, das Belma heute weiterführt. Ihr Sohn Ali geht auf die Realschule und will Automechaniker werden. Er hat viele deutsche Freunde. Belmas Familie zählt sich zur Glaubensgemeinschaft der Sunniten.“ (Kraft/Petri/Rupp et al., 2005, 224)

    In dieser überarbeiteten Beschreibung werden sowohl von Belmas Vater als auch von ihr selbst ihre Berufe als Geschäftsleute und Ladenbesitzer:innen genannt. Auch von Bel-mas Sohn Ali werden sein derzeitiger Status als Realschüler und sein Berufswunsch Automechaniker erzählt. Durch die Erwähnung der Berufe und ihres Ladenbesitzes werden Belma und ihrer Familie Aktivität und ein höherer sozialer und ökonomischer Status zugesprochen. Die Auseinandersetzung auf der Gefühlsebene mit der Migration fehlt in dieser Beschreibung. Belmas Foto konterkariert allerdings Belmas in klassistischer Perspektive zugewonnenen Status.


    Belma ist eine BIPoC und trägt auf dem Foto ein weißes Kopftuch und einen langen Rock. Sie steht in ihrem Geschäft vor einem mit Waren gefüllten Verkaufsregal. Das Ge-schäft ist erkennbar ein kleines Familienbetriebsgeschäft mit einem breiten Sortiment eines Gemischtwarenladens. Sie wird als Ladenbesitzerin degradiert und ihr sozialer Status wird dadurch abgewertet, dass sie als bloße Nachfolgerin ihres Vaters das Fami-liengeschäft weiterführt.

    Abb. 2: Kraft/Petri/Rupp et al., 2005, 224.


    Belma ist eine BIPoC und trägt auf dem Foto ein weißes Kopftuch und einen langen Rock. Sie steht in ihrem Geschäft vor einem mit Waren gefüllten Verkaufsregal. Das Geschäft ist erkennbar ein kleines Familiengeschäft mit einem breiten Sortiment eines Gemischtwarenladens. Sie wird als Ladenbesitzerin degradiert und ihr sozialer Status wird dadurch abgewertet, dass sie als bloße Nachfolgerin ihres Vaters das Familiengeschäft weiterführt.

    Die Darstellung von Frauen hat sich im 2016 erschienenen Das Kursbuch Religion 2 (Dierk/Freudenberger-Lötz/Landgraf et al., 2016) mit einem fast vollständig veränderten Autor:innenteam (keine muslimische Beteiligung erkennbar) verändert (Willems 2019, 306-307). Von Belma wird nicht mehr erzählt, sondern von Nasrin im Kapitel „Religionen begegnen“ (Dierk/Freudenberger-Lötz/Landgraf et al., 2016, 188-217):

    „Nasrin (44), eine deutsche Muslima iranischer Abstammung, arbeitet in Essen erfolgreich als Anwältin. Sie war schon immer sehr ehrgeizig, und ihre Eltern haben ihre beruflichen Pläne unterstützt. Keine Selbstverständlichkeit für eine muslimische Frau, wie sie selbst weiß: ‚Viele meiner Freundinnen haben ihren Beruf zugunsten der Familie zurückgestellt. Aber ich wollte nicht zu Hause bleiben, ich wollte raus ins Leben.‘“ (Dierk/Freudenberger-Lötz/Landgraf et al., 2016, 206)

    In dieser Fremd- und Selbstbeschreibung von Nasrin wird aus klassistischer Perspektive Nasrin ein hoher sozialer und ökonomischer Status als Anwältin zugesprochen. Ihr beruflicher Status und ihre Eigenaktivität werden mit wertenden Adjektiven „erfolgreich“ und „ehrgeizig“ beschrieben. Der deutsche Pass Nasrins ist als ihre eigene Leistung lesbar, da ihre iranische Abstammung – und dadurch ihre „Integrationsleistung“ (Willems, 2020,150) besonders betont wird, aber auch die Unterstützung, die sie von ihrer Familie erfahren habe. Nasrins hoher sozialer und beruflicher Status wird jedoch in ihrer Selbstaussage als Ausnahme dargestellt und nur möglich in Abgrenzung zu ihrer eigenen Religion: „Keine Selbstverständlichkeit für eine muslimische Frau“ (Dierk/Freudenberger-Lötz/Landgraf et al., 2016, 206). Die klassistische Aufwertung basiert auf Abwertung vermeintlicher „rückständiger“ Haltungen der muslimischen Religion gegenüber Frauen. Die

    „Rückständigkeit“ kommt wiederum in Nasrins Selbstaussage zum Vorschein, als sie selbst den Bereich des Berufs als „raus ins Leben“ beschreibt. Im nächsten Abschnitt wird Nasrin weiter beschrieben:

    „Das ist ihr gelungen, wenngleich auch sie Kompromisse schließen muss. Ihr Mann ist beruflich viel unterwegs, sodass die Erziehung ihrer Kinder weitgehend an ihr hängt. Die selbstbewusste junge Frau scheint der lebendige Beweis zu sein, dass man in Deutschland auch mit Kopftuch Karriere machen kann. Oft schon wurde sie aufgefordert, auf die Kopfbedeckung zu verzichten – auch von Muslimen. Aber so weit geht ihre Bereitschaft nicht, sich an die Umgebung anzupassen: ‚Ich bin Schiitin*3 und besuche regelmäßig die Moschee*, Religion ist mir wichtig. Da mache ich keine Kompromisse.‘“ (Dierk/Freudenberger-Lötz/Land-graf et al., 2016, 206.)

    Klassistisch besitzt Nasrin einen hohen Status als voll berufstätige Frau und Mutter. „Zugleich wird ein Selbstbild der deutschen Mehrheitsgesellschaft als frei von Rassismus (re)produziert, in der der individuelle Erfolg ausschließlich von der je eigenen Leistung ab-hänge, wenn Nasrin als ‚der lebendige Beweis‘ gilt, ‚dass man in Deutschland auch mit Kopftuch Karriere machen kann‘“ (Willems, 2019, 307). Nasrins sozialer Status wird nicht durch ihre aktive und sichtbare Religionsausübung „behindert“, wie sie selbst betont. Von ihrem Mann wird eine solche Spannung zwischen seinem beruflichen hohen Status („reist viel“) und seiner wahrscheinlich ebenfalls Zugehörigkeit zum Islam nicht erzählt. Klassismus wird auf den Ebenen Religion, Frauenrolle und vollzogene und geforderte Abgrenzung von einer vermeintlichen doppelten Gruppenzugehörigkeit (als Frau und als Muslima) in Nasrins Darstellung eingebracht. Nasrins Foto, das eine BIPoC-Person mit elegantem Kopftuch am Laptop zeigt, unterstützt Klassismus, indem es im Bild inszeniert, dass eine sichtbare muslimische Religionsausübung – was als Ausnahme dargestellt wird – kein Hindernisgrund ist, um einen erfolgreichen Beruf auszuüben.

    Nurdan stellt sich mit Namen, Alter und Religionszugehörigkeit vor. Dann erläutert sie religionskundliche Grundlagen ihrer Religion.

    Abb. 3: Dierk/Freudenberger-Lötz/Landgraf et. al., 2016, 206.


    Auch im 2020 erschienen Schulbuch Religion im Dialog (Bürig-Heinze/Fath/Goltz et al., 2020), dessen Entstehung von der Muslima Havva Yakar und dem Juden Eduard Steinberg begleitet wurde, wird eine Muslima mit Kopftuch abgebildet und vorgestellt. Wie auch in Glauben und Wissen 1989 ist die Muslima im Alter der anvisierten Jahrgangsstufen des Schulbuchs. Nurdan berichtet aus der Ich-Perspektive, was die vermeintliche Authentizität ihrer Erzählung hervorhebt:„Ich heiße Nurdan, bin Muslima und 13 Jahre alt. GOTT hat sich unserem Propheten Mohammed geoffenbart. Das heißt der Engel Gabriel hat ihm Satz für Satz GOTTES Wort gebracht.“ (Bürig-Heinze et al., 2020,159)

    Nurdan stellt sich mit Namen, Alter und Religionszugehörigkeit vor. Dann erläutert sie religionskundliche Grundlagen ihrer Religion. Weitere Details ihres individuellen Lebens sind nicht im Text, sondern auf den Fotos zu finden.


    Nurdan wird „bei der rituellen Waschung vor dem Gebet“ (Bildunterschrift) in einer Mo-schee auf der linken Seite abgebildet. Der religiöse Ort wird jedoch nicht näher benannt und wirkt auf den ersten Blick etwas „unmodern“, was auch klassistisch interpretiert werden kann.
    Hier ist ein Porträt von Nurdan mit Kopftuch zu sehen. Die Fotos lassen offen, ob Nurdan als BIPoC gelesen werden kann.


    Abb. 4a und 4b: Bürig-Heinze/Fath/ Goltz et al. 2020, 159.


    Die Fotos sind Karlo Meyers Unterrichtswerk mit Kopiervorlagen Weltreligionen (Göttin-gen 32015) entnommen, wurden also nicht eigens für das Schulbuch gemacht, was ihre Authentizität noch einmal in Frage stellt. Nurdan wird „bei der rituellen Waschung vor dem Gebet“ (Bildunterschrift) in einer Moschee auf der linken Seite abgebildet. Der religiöse Ort wird jedoch nicht näher benannt und wirkt auf den ersten Blick etwas „unmodern“, was auch klassistisch interpretiert werden kann. Auf der rechten Seite ist ein Porträt von Nurdan mit Kopftuch zu sehen. Die Fotos lassen offen, ob Nurdan als BIPoC gelesen werden kann. Außerdem geben die Fotos – anders als bei Fergül (14) aus dem Lehrwerk von 1989 Glauben und Leben – keinen Hinweis auf ihr persönliches Umfeld und ihren sozialen und ökonomischen Status. Klassismus wird so vermieden, allerdings werden den Schüler:innen auch wenig Anknüpfungspunkte zu ihren eigenen individuellen Leben angeboten.


  6. Fazit

    Didaktisch fällt auf, dass nur in wenigen Schulbüchern Kinder als exemplarische Repräsentant:innen des Islam gewählt werden, obwohl sie seit Jahrhunderten zu den etablierten Vermittlungsfiguren religiöser Bildung gehören (Meyer, 2019, 362; Dihle/Ta Van, 2024). Damit wird die intendierte Identifikation der Schüler:innen mit religiösen Erfahrungen erschwert. Die Darstellung individueller Perspektiven kann jedoch wesentlich dazu beitragen, Religion nicht als monolithischen Block zu präsentieren (Meyer, 2019, 373). Das Kursbuch Religion 2 hebt beispielsweise die jeweilige Glaubensrichtung der porträtierten Personen hervor und greift damit Meyers Konzept des „doppelten Individuenrekurses“ auf, das authentische Einblicke in religiöse Praxis ermöglichen soll. Dieses Ideal wird allerdings nur punktuell eingelöst. Muslimische Autor:innen bleiben im Schulbuchteam die Ausnahme, wodurch Binnenperspektiven weitgehend marginalisiert werden. Hinzu kommt, dass biographische Angaben teils variieren (Willems, 2019, Anm. 78), was die Authentizität der Darstellungen infrage stellt.

    Aus klassismuskritischer Perspektive zeigt sich, dass der Anspruch subjektiver Perspektivität Klassismus unbeabsichtigt verstärken kann. Muslimische Menschen werden häufig als BIPoC markiert und mit niedriger sozialer Stellung, mangelnder Bildung oder „Rückständigkeit“ verknüpft (Drath/Woppowa, 2024, 4). Neuere Schulbücher präsentieren demgegenüber überdurchschnittlich erfolgreiche, beruflich etablierte Musliminnen, die sich – häufig trotz Kopftuch – im westlichen Kontext behaupten. Beide Darstellungstypen, die der sozial Marginalisierten wie der „Ausnahmefrau“, markieren Differenz zu weiß gelesenen, christlichen Figuren und schreiben rassistische wie klassistische Distinktionsmuster fort. Diese „Praxis der Unterscheidung von Menschen“ (Mecheril/Melter, 2010, 174) verweist auf die Notwendigkeit einer intersektional und diversitätssensibel ausgerichteten Religionspädagogik.

    Für Unterricht und Lehrer:innenbildung ergeben sich daraus zentrale Implikationen:

    • Authentizität und Partizipation: Muslimische Autor:innen, Berater:innen und Schüler:innen sollten systematisch in die Schulbuchentwicklung, Materialproduktion und Schulbuchforschung einbezogen werden, um Binnenperspektiven sichtbar zu machen und die Darstellung muslimischer Lebenswelten aus unterschiedlichen Positionen heraus kritisch zu reflektieren.

    • Intersektionale Sensibilität: Lehrkräfte benötigen eine Professionalisierung, die Macht- und Klassismusstrukturen in religiösen Darstellungen reflektiert.

    • Didaktische Vielfalt: Materialien sollten multiperspektivisch angelegt sein, um religiöse und soziale Diversität nicht als Differenz, sondern als Normalität erfahrbar zu machen.

Eine religionspädagogische Schulbuchforschung, die diese Dimensionen berücksichtigt, kann wesentlich dazu beitragen, Bildungsmedien zu gestalten, die der Vielfalt muslimischer Lebenswelten gerecht werden und damit die Voraussetzungen für wirklich dialogisches und gerechtes interreligiöses Lernen schaffen.

Literaturverzeichnis
Sekundärliteratur

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Ruppel, Helmut/Schmidt, Ingrid (1996), Gerechtigkeit lernen. Religion 7/8, Hannover.


Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Kwiran/Röller, 1989, 141 von Jörg Axel Fischer, Hannover.

Abb. 2: Kraft/Petri/Rupp et al., 2005, 224 von Enver Hirsch, Hamburg.

Abb. 3: Dierk/Freudenberger-Lötz/Landgraf et. al., 2016, 206 von McPhoto.

Abb. 4a und 4b: Bürig-Heinze/Fath/ Goltz et al. 2020, 159 aus Karlo Meyer, Weltreligionen, Kopiervorlagen für die Sekundarstufe I, Göttingen 32015.


1 Eine Analyse weiterer Aspekte des Islamkapitels geben: Henningsen, 2024,176-181; Dam, 2024, 29-31; Willems, 2019,302-304; Herrmann, 2012, 88-95.

2 Im Fließtext unter dem Bild wird vom Neuen Testament als Handlungsmaßstab für „Christen“ gesprochen und von der Fremdenliebe als etwas, das hier dazugehört. Trotz des abgedruckten Zitats aus dem 3. Buch Mose (das ohne Hintergrundwissen nicht als Teil des Tanach wahrgenommen wird) verstärkt die explizite Betonung des Neuen Testaments das verbreitete antijudaistische Vorurteil, die Fremdenliebe sei etwas genuin Christliches.

3 Sternchen verweisen auf Begriffsklärungen im Buch.


Prof. Dr. Naciye Kamcili-Yildiz ist Juniorprofessorin für islamische Religionspädagogik und ihre Didaktik am Paderborner Institut für Islamische Theologie (PIIT). Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind die Professionalisierung von islamischen Religionslehrkräften und das interreligiöse Lernen.


Prof. Dr. Marion Keuchen ist Vertretungsprofessorin für Didaktik der Evangelischen Religionslehre unter besonderer Berücksichtigung von Inklusion an der Universität Paderborn und arbeitet insbesondere zu den Schwerpunkten Interreligiöses Lernen und inklusive Mediendidaktik.



Theo-Web Nr. 2/2025, ISSN 1863-0502 Open Access, Licence: CC BY 4.0 International © 2025 Schwarz/Meyer