Selig sind die Besitzlosen?! Erkundungen zu einer klassismus-reflexiven Religionspädagogik. Einführung in den Thementeil
Ulrike Witten/Stefanie Lorenzen/Laura Weidlich/Andreas Kubik-Boltres
Zusammenfassung
Tagungsdokumentation der Jahrestagung 2025 der Gesellschaft für wissenschaftliche Religionspädagogik zum Thema „Selig sind die Besitzlosen?! Erkundungen zu einer klassismus-reflexiven Religionspädagogik“ (Augsburg-Leitershofen, 12.-14.09.2025)
Schlagwörter: Heterogenität, Klassismus, Diskriminierung, Inklusion, Theologie, Vielfalt, Diversität, Religionspädagogik, Soziale Ungleichheit
Blessed Are the Dispossessed?! Explorations Toward a Classism-Reflective Religious Education. Introduction to the Thematic Section
Abstract
Documentation of the conference proceedings of the annual meeting of the Society for Academic Religious Education 2025 on the topic “Blessed Are the Dispossessed?! Explorations Torward a Classism-Reflective Religious Education” (Augsburg-Leitershofen, 12th to 14th of September 2025).
Keywords: heterogeneity, classism, discrimination, inclusion, theology, diversity, religious education, social inequality
„Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer“ (Lk 6,20, LU 17) lautet die eindringliche Seligpreisung aus der lukanischen Feldrede. Das Thema „Armut und Reichtum“ durchzieht das gesamte Lukas-Evangelium und steht damit in einer biblischen Tradition, die Armut problematisiert, wenn es z.B. in 5Mose 15,4 heißt: „Es sollte überhaupt kein Armer unter euch sein.“ In allen Evangelien wird eine jesuanische Ethik zum Ausdruck gebracht, die Besitz kritisch thematisiert, was Menschen in der Nachfolge Jesu immer wieder herausfordert. Das zeigt sich z.B. im Bildwort, dass ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr gehe, „als dass ein Reicher in das Reich Gottes komme“ (Lk 18,25 par., LU 17). Doch es wäre zu leicht, würden die biblischen Texte bloß auf ein Armutsideal reduziert. Die Vielstimmigkeit zu diesem herausfordernden Thema zeigt sich nicht nur innerbiblisch, wie in der Diskussion um die „Salbung in Bethanien“ (Joh 12,1-13), sondern auch auf exegetischer Ebene, wenn z.B. Christfried Böttrich herausstellt, dass „Lukas […] nicht – wie lange behauptet – ein Armutsideal [vertritt]. Vielmehr lautet seine Position: Armut soll es nach Gottes Willen nicht geben. Er ergreift Partei für die Notleidenden und mahnt die Reichen“ (Böttrich, 2014, 11).
Es kommt als weitere hermeneutische Schwierigkeit in der Auseinandersetzung mit den Armut thematisierenden biblischen Texten hinzu, dass das Verständnis von Armut kontextuell geprägt ist. Es stellt sich die Frage, was Armut im 21. Jahrhundert in Westeuropa, Armut im sog. „Globalen Süden“ oder Armut in Galiläa zur Zeit Jesu bedeutet und wie diese unterschiedlichen Erfahrungen und Verständnisse die Interpretation der Texte mitbestimmen: Inwiefern verschließen sich dadurch Zugänge, inwiefern tun sich neue auf, die jedoch ganz anders gelagert sein können als die hergebrachten Verständnisse des Textes? Ein gegenwärtiger Zugang, der biblische Perspektiven auf Armut infrage stellen kann, ist ein differenztheoretisch reflektierter, inklusionsorientierter Ansatz, der u.a. problematisiert, dass gerade das Lukasevangelium zwar Marginalisierte in den Blick nimmt, dabei Differenzen aber erhält und nicht überwindet, da die Marginalisierten lediglich als Bildmaterial für die Privilegierten fungieren (Neumann, 2017). In einer solchen differenzsensiblen, machtvolle Unterscheidungen kritisierenden Linie ist auch der Diskurs um Klassismus zu verorten, der in die Debatte um Armut und Reichtum und zur Frage nach sozialer Gerechtigkeit eigene Akzente einbringt.
Zum Selbstverständnis der Religionspädagogik gehört, dass sie kontextbezogen agiert, was in doppelter Weise zu verstehen ist: Religionspädagogik ist einerseits durch bestimmte Kontexte geprägt, nimmt aber auch für sich in Anspruch, Kontexte mitzuprägen und diese auch zu transformieren (Herbst, 2024, 1). Diese Kontexte werden, insbesondere im Zusammenhang mit Migration, zunehmend mit Begriffen wie „Superdiversität“ (Vertovec, 2024) charakterisiert: Es geht nicht mehr „nur“ darum, Diversität auf einer Ebene entlang verschiedener Kategorien zu bestimmen; vielmehr überlagern sich verschiedene, divers zu beschreibende Ebenen. In Verbindung mit einem kritisch reflektierten Heterogenitätsverständnis verbindet sich damit für die Religionspädagogik die Aufgabe, Diversität intersektional und machtsensibel zu reflektieren, wozu die Frage nach herkunftsbezogener Diskriminierung gehört.
2.1 Klassismusbegriff
Dass Menschen auf Grund ihrer sozialen Herkunft und den damit verbundenen Codes diskriminiert werden, wird in den letzten Jahren verstärkt unter dem Stichwort „Klassismus“ problematisiert.
„Klassismus bezeichnet die Diskriminierung entlang der Klassenherkunft oder der Klassenzugehörigkeit, sie ist als Unterdrückungsform, als Abwertung, Ausgrenzung und Marginalisierung wirksam. Von Klassismus betroffenen Menschen wird der Zugang zu materiellen Ressourcen verwehrt, sie werden von politischer Partizipation ausgeschlossen, und ihnen werden Respekt und Anerkennung verweigert. [… Klassismus] trifft unter anderem einkommensarme, erwerbslose und wohnungslose Menschen, aber auch Arbeiter*innenkinder, die im Bildungssystem großen Hürden ausgesetzt sind. Dies hat konkrete Auswirkungen auf die Lebenserwartung und begrenzt den Zugang zu Wohnraum, Bildungsabschlüssen, Gesundheitsversorgung, Macht, Teilhabe, Anerkennung und Geld“ (Seeck/Steckelberg, 2025, 9).
Eine Federmappe mit den derzeit beliebten Hunde-Motiven der Paw-Patrol-Serie in der Hand eines Siebenjährigen kann daher politisch gelesen werden, wenn die Federmappe als Code einer bestimmten Milieu-Zugehörigkeit wahrgenommen wird; eines Milieus, das Diskriminierungen ausgesetzt ist und zu dem wiederum andere Milieus Distinktionsbestrebungen zeigen (Imlau, 2025). Distinktion und die dadurch entstehenden „feinen Unterschiede“ konstituieren Milieus, markieren Zugehörigkeiten, bestimmen Inklusions- und Exklusionsprozesse – und manifestieren soziale Ungleichheit. Kleidung, aber auch Schulsachen, wie Federmappe oder Ranzen oder der Inhalt der Brotdose, dienen der Distinktion, genauso wie Religionszugehörigkeit, Jugendkulturen oder bestimmte Formen von Bildung, was sich in verschiedenen Sorten von Kapital zeigt.
Markus Gamper und Annett Kupfer unterscheiden zwischen einer sozialstrukturell-ungerechtigkeitsorientierten sowie einer antidiskriminatorischen Perspektivierung des Klassismus-Begriffs (Gamper/Kupfer 2024, 42-129) und bündeln diese Differenzierung (ebd.,129) in der folgenden Definition:
„Klassismus bezeichnet strukturelle, institutionelle, kulturelle oder auch individuelle Praktiken und Einstellungen, die Menschen aus unteren sozioökonomischen Klassen bzw. Klassenmilieus stigmatisieren und/oder diskriminieren und soziale, kulturelle oder ökonomische Hegemonien produzieren oder reproduzieren“ (Gamper/Kupfer, 2024, 129).
2.2 Gegenwärtige Klassismuskritik
Gesamtgesellschaftlich wird Klassismus seit einigen Jahren verstärkt zur Sprache gebracht und reflektiert. Parallel zur GwR-Tagung bekam Hanno Sauers Buch Klasse (2025) mit dem Plädoyer, soziale Ungleichheit viel stärker noch hinsichtlich der sozialen Herkunft zu reflektieren, viel Aufmerksamkeit. Initiativen, wie Arbeiterkind.de, oder Individuen, wie der Influencer @malik.yannick problematisieren Klassismus insbesondere im Hochschulbereich. Auch literarisch wurde das Thema auf vielfältige Weise bearbeitet. Die Literaturnobelpreis-Trägerin Annie Ernaux (2019; 2021) verarbeitet eindrücklich ihre Erfahrungen mit Klassenunterschieden und beschreibt, welche Entfremdungen von ihrer Herkunftsfamilie damit einhergingen. Die soziologischen Auseinandersetzungen mit Klassismus von Didier Eribon (2016; 2024) wurden auch außerhalb der wissenschaftlichen Community zur Kenntnis genommen, z.B. durch die Theater-Inszenierung von Thomas Ostermeier.
Auch in Gegenwartsmusik werden Erfahrungen mit Klassismus zur Sprache gebracht, die als Ermächtigungsstrategien – gerade gegenüber Bildungsinstitutionen, scheinbaren Bildungseliten sowie genormten Lebensläufen – interpretiert werden können. Wer „cool“ und „oben“ ist, was relevante Statussymbole sind, zeigt sich deutlich z.B. in den Gegenüberstellungen im Lied „Standard“, in dem es u.a. heißt: „Wir machen Cash, ey, du machst Abitur, ey …“ (KitschKrieg, 2020). Dass sich u.a. popkulturelle Reflexionen von Klassismus jedoch auch ambivalent darstellen und nicht nur ermächtigend zu verstehen sind, zeigt sich z.B. in der Mode-Industrie, deren Neuinterpretationen von „workwear“ oder „workwear-inspirierter“ Markenkleidung wiederum der Distinktion dienen und auf ökonomische Verwertung zielten. Was bedeutet dieses schillernde Phänomen nun für eine klassismusreflexive Religionspädagogik?
2.3 Klassismusreflexive Religionspädagogik
Eine Recherche im Index Theologicus unter dem Stichwort „Klassismus“ zeigt, dass das Thema – abgesehen von einer umfassenderen journalistischen Auseinandersetzung in „Zeitzeichen“ im Mai 2023 (Pausch, 2023, 26-28; Mayert, 2023, 29-31; Kosch, 2023, 32-34; Wegner, 2023, 35-37; Kosch/Mawick/Vecera, 2023, 38-41) bislang erst einmalig bearbeitet wurde (Binici/Hiller, 2025): Erkan Binici und Simone Hiller benennen Klassismus in ihrem Plädoyer, Rassismuskritik intersektional zu reflektieren. Dass dieses Plädoyer innerhalb der muslimischen wie berufsorientierten Religionspädagogik verortet ist, weist auf den „Sitz im Leben“ des Klassismus-Diskurses.
Doch dass sich das Stichwort „Klassismus“ bei einer oberflächlichen Literaturrecherche als wenig ergiebig erweist, sollte nicht zum vorschnellen Urteil verleiten, das Thema sei bislang ignoriert worden. Denn zum Klassismusthema sind religionspädagogisch schon viele Spuren gelegt: Die Milieuverengung von evangelischer Kirche wird seit Langem kritisiert, die heimliche Gymnasialorientierung auch, Sinus-Milieus sind Standardinhalte von Lehrveranstaltungen, wobei der Abgleich mit den Herkunftsmilieus der Studierenden meistens zeigt, dass hier nur bestimmte Milieus vertreten sind. Eine Religionspädagogik, die sich jedoch im globalen und ökumenischen Horizont bewegt, die Diversität und Migration intersektional berücksichtigt, die armutssensibel sein will, kommt an „sozialer Herkunft“ nicht vorbei. Auch die mit Gender und Disability gestartete Religionspädagogik der Vielfalt benennt die sozio-ökonomische Situation als eine zu berücksichtigende Dimension (Knauth, 2017, 13 -32). Insgesamt ist im Zuge einer kulturwissenschaftlich reflektierten, differenzsensiblen Religionspädagogik die Aufmerksamkeit für die Herstellung von Unterschieden sowie damit verbundene Machtprozesse gestiegen. Entsprechende Reflexionen in Bezug auf Gender, Disability, (soziale) Herkunft sowie religiös-konfessionell-weltanschauliche Heterogenität und ihre intersektionalen Verwobenheiten können für eine inklusionsortierte Religionspädagogik herangezogen werden (Uppenkamp, 2021; Vieregge, 2013; Witten, 2025). Zwar mag der Begriff „Klassismus“ innerhalb der Religionspädagogik noch relativ neu sein, jedoch lässt sich das nicht für die damit verbundenen Problemlagen und ihre religionspädagogische Reflexion sagen.
Und trotz dieser bestehenden Linien lässt sich doch auch kritisch fragen, ob eigentlich innerhalb der wissenschaftlichen Religionspädagogik realisiert wird, wie viel politische Sprengkraft im Klassismusthema enthalten ist und wie stark Klassismus das religionspädagogische Denken und Handeln selbst durchzieht. Klassismus ist nicht nur ein „wokes“ und (pop-)kulturell bearbeitetes Thema, sondern auch ein zutiefst politisches, das die Religionspädagogik als öffentliche Religionspädagogik herausfordert und mehr beschäftigen muss. Dies wird etwa deutlich im Anschluss an Analysen wie diejenigen Didier Eribons (2016; 2024), die aufzeigen, wie sein Herkunftsmilieu für den Rechtspopulismus immer ansprechbarer wurde. Ein Phänomen, das auch in den USA und in Deutschland greift, wenn der Anschein erweckt wird, Personen aus dem „Arbeiter“-Milieu würden politisch nicht gehört und nicht repräsentiert und populistisch ein „Wir hier unten“ einem „Die da oben“ gegenübergestellt wird.
Es geht also bei der Auseinandersetzung mit Klassismus längst nicht nur um die Frage, wie eine armuts- und diskriminierungssensible Religionspädagogik ausgestaltet werden kann, sondern auch um Fragen des gesellschaftlichen Miteinanders, um Bildungsgerechtigkeit, Demokratiebildung und soziale Ungleichheit.
Ein Grund dafür, dass die Religionspädagogik das Klassismus-Thema bislang noch nicht intensiv bearbeitet hat, kann auch in der Perspektive auf die „soziale Herkunft“ bzw. sozio-ökonomische Situation liegen. Sie ist zwar eine Dimension in einer Religionspädagogik der Vielfalt, sie unterscheidet sich aber insofern von den anderen, als sie eigene Strategien des Umgangs erfordert. Anders als Gender oder sexuelle Orientierung, bei denen das Ziel einer vielfaltssensiblen Bearbeitung auf Egalität zielt, können Armut und soziale Ungleichheit nicht nur im Modus von „Anerkennung“ bearbeitet werden. Schließlich ist seit Langem bekannt, dass Armut eben nicht nur bedeutet, einfach etwas sparsamer sein zu müssen, sondern auch heißt: schlechtere Gesundheit und kürzere Lebenserwartung – und dass dies transgenerationell weitergegeben wird. Wie lassen sich diese Mechanismen ändern, ohne Normen vom „sozialen Aufstieg“ und damit Egalität unterlaufende Hierarchisierungen anzulegen?
Im Rahmen einer Religionspädagogik der Vielfalt zeigt sich auch das problematische Phänomen, was als „inklusive Exkludierung“ bezeichnet werden kann, weil Inklusionsorientierung mit Exklusion einhergeht. Wenn z.B. geschlechtersensible Sprache, konkret der Gender-Gap, genutzt wird, wird das auch als Distinktionsmerkmal wahrgenommen, das Sprecher:innen als Akademiker:innen ausweist – was wiederum gesellschaftliche und politische Sprengkraft mit sich bringt, wie die politisch-populistische Ingebrauchnahme des „Genderns“ zeigt.
Es stellt sich jedoch auch die Frage, wie sich Klassismus eigentlich wissenschaftlich bearbeiten lässt. Ist es nicht gerade widersinnig, in einem ganz klassischen Tagungs- und Publikationsformat über Klassismus nachzudenken? Wer ist da eigentlich dabei? Wer darf für wen sprechen? Inwieweit wird dabei auch Klassismus reproduziert? Inwiefern ist Perspektivenübernahme wirklich möglich?
Neben diesen gesamtgesellschaftlichen wie wissenschaftstheoretischen Perspektiven auf Klassismus stellt sich jedoch auch die Frage nach Tiefenstrukturen in Religionspädagogik und Theologie, die Klassismus herstellen und reproduzieren: Wenn die Werke der Barmherzigkeit dazu auffordern, Nackte zu kleiden und Hungrige zu speisen, dann sind die Nackten und Hungrigen nahezu immer „die anderen“, denen mit einer potenziell paternalistischen Haltung begegnet wird. Wie kann man mit den dahinterstehenden Problemlagen einer Klassismus reflektierenden religiösen Bildungspraxis ganz praktisch umgehen? Wie kann klassismussensibel die Geschichte von St. Martin erzählt und weitergegeben werden – wissend, dass sich doch wirklich niemand mit dem Bettler identifizieren will? Wie lassen sich Diskriminierung und neue Paternalismen vermeiden? Welche Sprache wird dabei benutzt? Wie wäre jedoch auch das Klassismus-Paradigma anzufragen und der in ihm stark gemachte, jedoch nicht unproblematische Begriff der „Klasse“ (Gamper/Kupfer, 2024, 13-15)? Diesen Fragen gingen die Beiträge auf der GwR-Jahrestagung 2025 nach.
2.4 Zum Heft
Annett Kupfer führt in das Thema ein, indem sie aus Perspektive der Sozialen Arbeit Klassismus als Diskriminierungsform reflektiert, die mit Macht, Herrschaft und der Inszenierung von Leistungsgerechtigkeit und Meritokratie verbunden ist. Für die pädagogische Praxis plädiert sie für eine intersektionale, reflexive Haltung, die Ausschlüsse sichtbar macht und klassismuskritisches Handeln fördert.
Andreas Mayert geht aus sozialwissenschaftlicher Perspektive der Frage nach, ob ungleich verteilte Bildungschancen durch klassistische Ungleichbehandlung erklärt werden können, reflektiert die Milieuverengungsdiagnose zur evangelischen Kirche und skizziert, wie eine klassismuskritische Religionspädagogik aussehen könnte.
Vera Uppenkamp nimmt Klassismus als gesellschaftliche Ordnungsstruktur und religionspädagogisch relevante Diskriminierungsform in den Blick. Sie stellt klassistische Diskriminierung heraus und bettet Klassismuskritik in eine Religionspädagogik der Vielfalt ein, bevor Aufgaben einer klassismuskritischen Religionspädagogik formuliert werden.
Aliyah El Mansy beleuchtet aus bibelwissenschaftlicher Perspektive die Möglichkeiten einer klassismusreflexiven Exegese, die impliziten Klassismus in den Texten aufdeckt und internalisierten Klassismus der Rezipient:innen beim Auslegungsprozess sichtbar macht. Anhand der Perikope über den Zöllner Zachäus zeigt ihr Beitrag, wie mithilfe der antiken Sozialgeschichte und des literarischen Diskurses Bibeltexte klassismusreflexiv analysiert werden können, sodass sich neue bibeldidaktische Perspektiven ergeben.
Claudia Gärtner und Annalena Sieveke fokussieren Möglichkeiten einer klassismusreflexiven Diagnostik, indem sie untersuchen, wie Religionslehrkräfte heterogene Lernvoraussetzungen diagnostizieren und dabei klassistische Differenzlinien reflektieren oder auch reproduzieren, wobei soziale Ungleichheiten häufig kulturalisiert oder verdeckt werden. Sie plädieren für eine intersektional sensible Diagnostik, die strukturelle Bedingungen, Differenzkategorien und eigene Zuschreibungen kritisch reflektiert.
Dennis Breitenwischer arbeitet ausgehend von Klassismus thematisierenden Narrativen in autofiktionalen Texten der Gegenwartsliteratur Anknüpfungspunkte und Potenziale für religiöse Bildungsprozesse heraus.
Naciye Kamcili-Yildiz und Marion Keuchen reflektieren mit einer klassismuskritischen Brille die Darstellung von Muslim:innen in evangelischen Schulbüchern der letzten Jahrzehnte und arbeiten mehrheitsgesellschaftliche klassistische Stereotype heraus, die nicht nur für ein interreligiöses Lernen kritisch zu brechen sind.
Katharina Kammeyer zeigt auf, inwiefern die inklusionsorientierte praxistheoretische Unterrichtsforschung einen Beitrag zur Klassismusreflexivität leisten kann. Anhand einer Unterrichtsreihe zu St. Martin und Psalm 23 werden Freiräume, Engführungen und mögliche Erweiterungen der Reflexion von Armut, Hilfe und Bedürftigkeit diskutiert und Vorstellungen von Hilfe und Leistungsorientierung rekonstruiert.
Matthias Stracke-Bartholmai identifiziert kritische Potentiale der Auseinandersetzung mit Klassismus in Theologie und Religionspädagogik, indem er problematisiert, ob angesichts der bisherigen religionspädagogischen Auseinandersetzungen mit Bildungsgerechtigkeit und Armutssensibilität der Klassismusbegriff einen Mehrwert bietet.
Binici, Erkan/Hiller, Simone (2025), Rassismuskritik intersektional gedacht. Konturen einer diskriminierungskritischen Religionspädagogik, in: ÖRF 33 (2025) 1, 12-33, https://doi.org/10.25364/10.33:2025.1.2 [Zugriff: 19.11.2025].
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Ernaux, Annie (2019), Der Platz, aus dem Französischen v. Sonja Finck, Berlin [Ernaux, Annie (1983), La place, Paris].
Ernaux, Annie (2021), Das Ereignis, aus dem Französischen v. Sonja Finck, Berlin. [Ernaux, Annie (2000), L’Événement, Paris].
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